Hamburg, 4.
Juni. Ein Kurs für Analphabeten auf dem Katholikentag,
für Menschen, die ihre Sprache nicht lesen können.
Worte gemacht werden viele, aber was ist mit der Sprache
des Körpers? Katholiken knien. So viel ist bekannt.
Protestanten sitzen meist, Buddhisten liegen, Muslime werfen
sich zuweilen nieder. Religiöse Menschen beten nicht
nur mit Worten, sondern auch mit dem Körper. Leib und
Seele wollen eins sein. Doch was die zahlreichen Gesten
und Gebärden bedeuten, was sich ausdrücken und
erfahren ließe, darüber herrscht selbst unter
Katholiken wenig Kenntnis.
Nur eine Minderheit
traut noch der Überlieferung, bekreuzigt sich beim
Betreten des Gotteshauses, faltet die Hände zum Gebet.
Manch einer verlässt christliches Terrain und wendet
sich, beseelt vom Wunsch nach der Wiedervereinigung von
Geist und Körper, Religionen zu, die Ganzheitlichkeit
nicht verlernt haben.
Auch auf dem
Hamburger Katholikentag spiegelten sich die spirituelle
Sehnsucht und die Suche nach authentischen Ausdrucksformen
wider. Regen Anklang fanden Angebote, die die gewohnte wortreiche
Herangehensweise pflegten, Bibelarbeit oder Gespräche
über Berufung etwa. Große Besucherzahlen auch
beim meditativen Tanz, einer Form der Glaubenserfahrung
in der Gruppe, die den Rhythmus vorgibt und den Gläubigen
nicht unbedingt mit Gott allein lässt. Ganz im Sinne
des schönen Augustinus-Satzes: ÑLeute lernt tanzen,
sonst können die Engel mit euch im Himmel nichts anfangen."1
Streng geistliche
Praktiken dagegen fanden nicht immer Zuspruch, wie die Übungen
zur ignatianischen Spiritualität, die den Gottsucher
alleine auf einen zunächst harten Weg der Konfrontation
mit der Wirklichkeit schicken, bevor er vielleicht Orientierung
erfährt. Berührungsängste dagegen bei einem
Workshop ÑGebetshaltungen". Wer langsam anfangen wolle und
nicht gleich den ganzen Körper ein-
setzt, achte
auf des Gesicht, so die erste Lektion für die |
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Teilnehmer.
Die Augen offen, nach vorne gerichtet, mit Blick in die
Zukunft, das sagt vielleicht herausfordernd: ÑIch erwarte
dich, Gott. Zeig, dass du da bist." Den Kopf gesenkt, die
Augen geschlossen, alle Aufmerksamkeit nach innen gerichtet:
eine Haltung, die die Suche nach Gott im Ich erleichtern
mag oder aber Furcht signalisiert vor einem, der mehr Macht
hat. Die Ausdrucksformen der Hände, eine Welt für
sich. Denn Hände, so schien es den Kursteilnehmern,
seien ein Spiegel der Seele. Sie können schlagen, sich
zur Faust ballen, auffahren oder drohen, beschwören,
schmeicheln, streicheln oder erschlaffen. Warum nicht im
Gespräch mit Gott genauso wie in der Auseinandersetzung
mit anderen Menschen? Dann täten sich Gläubigen
neue Dimensionen in der Beziehung zu Gott auf, lautete die
Erkenntnis. Die Aussagekraft der gefalteten Hände,
die zu den letzten noch bewusst eingesetzten Gebärden
im Gottesdienst zählen, erschien in diesem Licht plötzlich
dürftig und beschränkt.
Die abgewetzten
Knie, an denen früher dem Volksmund nach die Katholiken
zu erkennen waren, könnten auch heute noch Verborgenes
enthüllen, so die letzte Einsicht beim Kurs für
Körpersprache. Auch wenn Stehen, Sitzen oder Knien
in der Vergangenheit oft theologisch überladen worden
seien und später strenge Vorschrift wurden. Dem modernen
Menschen auf Gott-und-Ich-Suche könnten auch diese
Formen zur Sprache seiner Seele werden. Wer vor Gott stehe,
können Ehrfurcht vor dem Höheren oder aber Freude
nach durchstandener Angst ausdrücken.
Wer sitze, höre
vielleicht besonders aufmerksam zu. Wer knie, bringe seine
menschliche Kleinheit zum Ausdruck. Voraussetzung sei aber,
dass für solche Bedeutungen ein Bewußtsein bestehe.
Symptomatisch nur, dass selbst dem Teilnehmern wie dem Kursleiter
der Mut fehlte, sich Körpersprache nicht nur mit Worten,
sondern mit praktischen Übungen zu nähern. Furcht
erregend scheint die Freiheit, Gott so direkt anzusprechen. |