>> Rezensionen
Hannelie Jestädt: Bewegung und Tanz im Familiengottesdienst – leibhaftig beten, Verlag Butzon & Bercker Kevelaer / Klens-Verlag Düsseldorf 1996, 152 Seiten, DM 29,80.

Bei dieser Neuerscheinung handelt es sich um ein Praxisbuch zur Gestaltung von Familien- und Kindergottesdiensten mit Bewegungsvorschlägen zu über 40 Liedern. Die Autorin Hannelie Jestädt war Lehrerin, ist heute als Referentin in der Erwachsenenbildung tätig und wird darin vielfach zu meditativem und liturgischem Tanz angefragt. Auf diesem beruflichen Hintergrund skizziert die Autorin in der Einleitung zwei Strömungen, in denen im Rahmen der gegenwärtigen Gestaltung von Gottesdienst Tanz und Bewegungsausdruck einbezogen werden: Zum einen sind es Familiengottesdienste, die besonders Kinder ganzheitlich ansprechen wollen, zum anderen haben gerade Frauen die Bedeutung der Leiblichkeit im Gottesdienst neu für sich entdeckt und beziehen ein liturgisches Tanzen mit ein. Die Autorin betont, daß es sich hierbei um zwei verschiedene Ansätze handelt. Ihr Anliegen ist es, diese beiden Ansätze in ihrem Buch miteinander in Beziehung zu setzen (10). Das klingt danach und läßt hoffen, daß hier auch einmal die Erwachsenen zum Zuge kommen sollen, denn fast alle bisher erschienenen Praxisbücher zur Gestaltung von Familiengottesdiensten wenden sich mit Tanzvorschlägen ausschließlich an die Kinder. Schließlich sind Familiengottesdienste etwas anderes als Kindergottesdienste, d.h. die dort anwesenden Erwachsenen sollten ebenfalls gebührend berücksichtigt werden. Doch schon die nächsten beiden Sätze machen stutzig, denn hier ist wieder nur von Kindern die Rede. Und so erklärt die Autorin wenig später auch, daß sie mit ihren Tanzvorschlägen den Kindern einen besseren geistlichen Zugang verschaffen, nicht aber der Attraktivität des Gottesdienstes oder dem Abreagieren des Bewegungsdranges dienen will. Darum geht es ihr in diesem Buch, das so weitestgehend doch wieder ein Kindertänze-Buch darstellt. Immerhin besteht ein erheblicher Vorteil dieses Buches darin, daß die Autorin sich tatsächlich zentral Gedanken um die Kinderliturgie macht und nicht gesammelte Beispiele von Liedtänzen präsentiert, die man auch noch in der Liturgie verwenden kann.
Das Buch ist in drei Teile (A bis C) gegliedert, die sich sukzessive die drei Aspekte der Überschrift des Buches vornehmen: Bewegung, Tanz und Familiengottesdienst.
Die Orientierung auf die Kinder wird deutlich, indem Jestädt zu Beginn des ersten Teils ausführlich begründet, warum leibhaftiges Beten aus der Sicht des Kindes wichtig und notwendig ist. Die Autorin geht von der Beobachtung aus, daß Kinder einer Messe, in der allein gesprochen oder gesungen wird – meist ihnen unbekannte Lieder –, nur mit großer Mühe folgen können. Wird ihnen nichts anderes angeboten, werden sie geradezu aus der Kirche vergrault. Das andere Extrem besteht nach Jestädt darin, den Kindern zuviel zu bieten, sie mit Angeboten regelrecht zu ködern. Das würde die Vorbereitenden, egal ob Familienmeßkreise oder Pfarrer, unter den Druck setzen, Gottesdienste immer neu und attraktiv gestalten zu müssen. Die Lösung dieses Problems bestehe darin, die Kinder ganzheitlich anzusprechen und in den Gottesdienst mit einzubeziehen. Die Autorin schlägt vor, die vorhandenen „Bewegungselemente" neu zu erschließen, und nennt: Stehen, Gehen, Prozession (und Kommuniongang), Gebetshaltungen der Hände, Orantehaltung, Kreuzzeichen, Knien und Friedensgruß. Sie empfiehlt, daß die Gemeinde diese Haltungen wieder bewußt mitvollziehen soll. Dieser Empfehlung kann man sich nur anschließen. Man sollte sich allerdings darüber im klaren sein, daß damit das eigentliche Problem nicht beseitigt ist, das darin besteht, daß für viele Gottesdienstteilnehmer der gesamte Gottesdienst mit seinem Ablauf nicht mehr aus sich heraus verständlich ist. Auch wenn die genannten Haltungen bewußt mitvollzogen würden, blieben sie doch nur „Elemente", sofern nicht eine Einordnung in das Gesamtgeschehen erfolgt. Ohne ein Mindestmaß an Bewußtheit für das Ganze können auch Elemente kein Verständnis und keine Annäherung gewährleisten.
An diese Begründung und das Plädoyer für ein leibhaftiges Beten schließen sich einige Beispiele für kindgemäße Bewegungslieder an (z.B. „Er hält die ganze Welt in seiner Hand", „Gottes Liebe ist so wunderbar", Vater unser), bei denen die Gebärden am Platz ausgeführt werden können. Vom Stil her sind sie pantomimischen Charakters und darin der Arbeit Waltraud Schneiders nicht unähnlich, in einem Fall bei ihr auch entliehen. Am Beispiel von „Gottes Liebe ist so wunderbar", das die Autorin in zwei Varianten präsentiert, soll in kritischer Lesart zu verbreiteten Modellen deutlich werden, in welcher Weise ein Liedtext meditiert oder wie er (häufig) gleichsam geturnt wird.
Wenden wir uns dem zweiten Teil zu, in dem es nun um Tanz gehen soll. Die Autorin thematisiert Liturgie hier als Beten in Gemeinschaft, als Feier des Glaubens und der Begegnung mit Gott und miteinander (35). Das Verständnis des liturgischen Tanzens als Gebet wird von ihr hier wie insgesamt derart betont, daß die anderen Aspekte dahinter verschwinden. Es ist richtig, daß man durch und im Tanz beten kann. Aber weder erschöpft sich im (ausdrücklichen) Beten die Liturgie, noch kann ein solches betendes Tanzen per se als liturgisches Tanzen bezeichnet werden, wie es die Autorin formuliert (36). Wegen solcher mangelnden Differenzierungen wird leider immer wieder ein meditatives Tanzen zur Liturgie erklärt und die Bandbreite der Liturgie übersehen. –Wenig sinnvoll subsumiert Hannelie Jestädt unter dem Oberbegriff „liturgischer Tanz" unterschiedslos einfache Gesten, Reigen, die Prozession des Priesters mit den Ministranten, den Gang zur Kommunion usw. und hebt damit alle Konturen auf. Die beiden Beispiele für liturgischen Tanz, die sie anführt („Eine Sonnenblume war ein kleines Korn" und das Emmaus-Evangelium), weisen eher weniger als mehr einen spezifisch liturgischen Charakter auf. Was ist nun hier „liturgischer Tanz"? 
Im vorliegenden Buch basieren im Grunde sämtliche Tänze auf Liedern oder Texten, die weithin illustrativ in Bewegung umgesetzt werden. Dabei fällt die Qualität sehr unterschiedlich aus. Zum Teil geben die Modelle den Charakter eines Liedes wieder, so daß der Tanz im Rahmen der Liturgie gut Sinn macht. Andere Bewegungsmodelle illustrieren einfach den Wortlaut. Wieder andere lassen kaum einen Bezug zum Text noch zur liturgischen Situation erkennen. Einige wirken schlicht und ergreifend, andere sind ideenmäßig schwer nachzuvollziehen. Erfreulich ist die Auswahl vieler Lieder aus dem katholischen Gesangbuch Gotteslob. Die anderen Lieder von Jöcker, Edelkötter usw. sind heute vielfach bekannt. Sowohl die Erklärung der Tanzschritte als auch der Tanz-beschreibungen sind gut verständlich. Die Haltungen und Gebärden zu den Liedern sind zum Großteil mit Zeichnungen erläutert und mit Fotos angereichert. Durch Symbole für Blockaufstellungen, Kreis-, Prozessions-, Einzel- und Gemeindetänze sowie für die Tanzrichtungen lassen die Tanzbeschreibungen auf den ersten Blick erkennen, um welche Art es sich bei den Vorschlägen handelt. Allerdings ist die symbolische Bedeutung, die die Autorin den Tanzrichtungen gibt (Tod bzw. Leben), nicht einzusehen.
Der Ausgangspunkt dieser Modelle solchen liturgischen Tanzens sind also die Lieder, nicht die liturgischen Vollzüge und Feierformen der Gemeinde. Die angestrebte Verknüpfung der verschiedenen Ansätze bleibt die Autorin den Lesern ihres Buches schuldig, denn die Lied- und Bewegungsbeispiele zielen vor allen Dingen auf Kinder ab. Wer sich als Erwachsener beteiligen will, muß sich auf das kindgerechte Niveau begeben. Ob dies jemanden zufriedenstellen wird, der wirklich liturgisch tanzen möchte, ist zu bezweifeln. Die Idee, die Gesamtgemeinde miteinzubeziehen, indem man alle auffordert, die Bewegungen mitzumachen, ist prinzipiell gut. Es bleibt aber fraglich, ob sie wirklich in die Gemeinde integriert werden können oder ob die Gemeinde sie nicht eher den Kindern zuliebe mitvollzieht nach dem Motto: Heute ist ja Familiengottesdienst, da stehen die Kinder im Vordergrund und wir machen das halt mit. Damit wäre der Familiengottesdienst nicht ein solcher, sondern würde nur von den Erwachsenen verlangen, kindgerechte Formen als die ihren zu akzeptieren. Daß Kinder ganzheitlich in den Gottesdienst – möglichst in jeden – mit einbezogen werden sollen, ist unbestritten. Unbestritten ist auch, daß Bewegungslieder und Liedtänze dazu eine gute Möglichkeit bieten. Sicherlich wird auch keinem Erwachsenen ein Zacken aus der Krone brechen, wenn er mit Kindern zu diesen Liedern „tanzt". Daß jedoch alles, was für Kinder gilt, nun aber ebenso für Erwachsene gelten soll, ist zu kurz gedacht. Zwar betont die Autorin ausdrücklich, daß es keine Gleichsetzung geben darf (10), eine Differenzierung oder die angedeutete Verknüpfung von Bewegungsliedern und liturgischem Tanz bleibt sie jedoch bei den praktischen Beispielen schuldig. Auch wird nicht ganz klar, worin für sie der Unterschied besteht.
Im letzten – theoretischen – Teil ihres Buches begründet Hannelie Jestädt sehr knapp den ganzheitlichen Einbezug von Kindern in den Gottesdienst noch einmal auf theologischem Hintergrund ausgehend vom Direktorium für Kindermessen und von einigen Bibelstellen. Damit bindet sie ihr Anliegen an wichtige Glaubensgrundlagen zurück und macht deutlich, daß der Einbezug der Leiblichkeit in den Gottesdienst nicht beliebig und keine Spielerei ist, sondern seinen Grund im jesuanischen Handeln und in seinem Umgang mit der Leiblichkeit der Menschen hat. Das ist soweit gut. Aber wenigstens in diesem Kapitel mit der Überschrift „Familiengottesdienst" dürfte man sich doch noch sehr ein paar Gedanken über das Zusammenspiel von Kindern und Erwachsenen in einer bewegten Liturgie erhoffen – vergebens! Die Autorin bietet schließlich noch als Hilfe eine dünne Übersicht über den Aufbau der Messe an, die rein formal aufzeigt, welche Elemente (laut Direktorium) ausgelassen werden „dürfen" und welche nicht. Bei der „weiterführenden Literatur" taucht unverständlicherweise „Meditatives Tanzen" von H. M. Lander / M.-R. Zohner als Arbeitsmaterial zum liturgischen Tanz auf.
Für Kreise oder einzelne, die häufiger Familien- oder Kindergottesdienste vorbereiten, kann dieses Buch aufgrund der doch ziemlich großen Auswahl (46 Lieder) und der Benutzerfreundlichkeit von gutem Nutzen sein. Außerdem sind die meisten Bewegungsmodelle einfach, klar, nicht detailverspielt und logisch. Auch musikalisch wird nicht viel verlangt, so daß man vieles leicht (auswendig) singen kann. Besonders denjenigen, der nicht lange herumsuchen will, wird die Tanzübersicht am Ende des Buches freuen. Hier sind alle Lieder, die im Buch vorkommen, verzeichnet mit Angabe über ihre Einsatzmöglichkeit in der Messe (mit Stellenangabe) und im Kirchenjahr, ferner mit der Tanzform sowie mit einer Alterseignung.
Insgesamt scheint das Buch also für die Praxis gut brauchbar zu sein. Bedauerlich ist nur, daß sowohl der Liturgie- als auch der Tanzbegriff ziemlich unreflektiert und so undifferenziert verwendet wird. Durch die Überschriften wird die Erwartung eines theoretischen Überbaus beim Leser geweckt, die dann aber nicht erfüllt wird.

Claudia Seeger
 
Übersicht choreae Rezensionen
Übersicht choreae Inhaltsverzeichnisse
Übersicht aktuelle Literatur
Startseite kirchentanz.de