Alfred Kall / Matthias
Küsters: Religion, Musik und meditativer Tanz. Mit Leib und Seele,
Unterrichtsmaterialien Religion betrifft uns 4/1996, Bergmoser + Höl-ler
Verlag, Aachen 1996, 30 Seiten (mit zwei farbigen Overheadfolien), Einzelheft
(ohne Abonnement der Reihe) 17,50 DM zzgl. Porto.
Es ist nicht zu übersehen, daß
die Begeisterten, Engagierten und Interessierten des Meditativen Tanzens
meist schon mittleren Alters sind. Sakrales Tanzen ist gewiß nicht
als eine Domäne der jungen Leute und Jugendlichen auszumachen, obwohl
die doch eigentlich eher als die übrige Bevölkerung noch über
einen Zugang zum Tanz verfügen. Aber der ist dann wohl etwas weniger
meditativ und in einem anderen Kontext verortet. Tanz wird bei Jugendlichen
mit großem Abstand vor allem als Freizeitbeschäftigung begriffen,
auch seitens der Schule und der Unterrichtenden, denn der Tanz ist in der
Schule, insbesondere in der Sekundarstufe II, nur höchst selten ein
Unterrichtsthema. Während jungen Menschen systematisch beigebracht
wird, wie man sich sprachlich möglichst optimal ausdrückt, spielen
musische Ausdrucks- und Erfahrungsweisen in der Schule lediglich eine ganz
geringfügige Rolle, und insbesondere dem Tanz kommt dabei eine absolute
Randexistenz zu. Deshalb ist es etwas wirklich ganz Besonderes, das aufhorchen
läßt, wenn die Gymnasiallehrer Alfred Kall und Matthias Küsters
(beide Jahrgang 1946) das Meditative Tanzen zum Thema des Religionsunterrichtes
machen wollen. Man könnte sehr gespannt sein auf das, was hier als
Hilfen geboten wird, trifft man doch bei den Religionspädagogen unter
den Akteuren des Meditativen Tanzens meistens Schulterzucken an, wenn man
sie nach einem solchen Tun in jugendlichen Schulstufen fragt. Allerdings
läßt bereits der Titel der vorliegenden dreißigseitigen
Mappe ahnen, daß es bei der Zusammenziehung von Musik und Meditativem
Tanzen in der Verhältnisbestimmung zur Religion nicht besonders differenziert
zugehen kann, zumal eigentlich, wie sich zeigen wird, von Religionen
die Rede sein müßte.
Die vorliegende Mappe des modernen
Verlages Bergmoser + Höller, der sich auf Griffiges und Kompaktes
spezialisiert hat, ist in drei Teile gegliedert: 1. Sachinformationen zu
Musik, Meditation, Tanz und Bibliodrama (fünf Seiten), 2. Unterrichtsziele
und -verlauf (neun Seiten) und 3. Materialien (vierzehn Seiten). An der
Seitenanzahl läßt sich schon ablesen, daß die Sachinformationen
wirklich nur das Allerwichtigste enthalten. Der Bereich Meditation fällt
dabei sehr dürftig aus. Zum Tanz – auf den wir uns hier beschränken
und konzentrieren wollen – wird im Umfang einer DIN A-4-Seite das Wichtigste,
das man in diesem Kontext wissen muß, zusammengetragen und soweit
verständlich dargestellt. Probleme mit dem Begriff werden genannt
(gemeint ist wohl die Erfassung des breiten Phänomens), jeweils ein
Miniabriß über Historisches, über den Tanz in nichtchristlichen
Religionen, in der Bibel sowie in der Kirche wird gegeben. In letzterem
ist hervorzuheben, daß an dieser Stelle einmal nicht behauptet wird,
es habe doch immer schon liturgischen Tanz gegeben, sondern klargestellt
wird, daß der Tanz nie Bestandteil des offiziellen Gottesdienstes
war (S. 5). Allerdings heißt es später (S. 13, 27) dann doch,
Kirche bzw. Klerus und Volk hätten durch die Jahrhunderte hindurch
getanzt. Für die greifbaren Tatsachen und Quellen entschieden zu dürftig
ist die gequält klingende Feststellung: „Seit den 60er Jahren kann
man aber eine neue Hinwendung zum Tanz, auch in der Liturgie, beobachten.
Das hängt damit zusammen, daß sich die Meinung bildet, daß
auch der Gottesdienst ganzheitlich erlebt werden sollte; ..." (S. 5) Dabei
dürfte wohl kaum die angeführte Erotik die Ursache sein, sondern
sensuelle und affektiv-expressive Gründe, also eine veränderte
Art der Wahrnehmung und des Ausdrucks. – Nicht korrekt ist der Abschnitt
„Tanz in der Bibel". Abgesehen von einem verwirrenden Tippfehler („Reifen-"
statt „Reigentanz") wird mit nichts unterschieden zwischen profanem und
kultischem Tanz, dagegen selbstverständlich von „drei Hauptformen
des Tanzes" (Reigen, Prozession und Umschreiten) in der Bibel gesprochen,
als ob man das so simpel bestimmen könnte. Ebenso anspruchslos meinen
die Autoren, Davids Tanz vor der Bundeslade als einen „Prozessionstanz"
deklarieren zu können. Die Erwähnungen des Tanzes in den Psalmen
reicht den beiden Pädagogen schon für die Behauptung (als Zitat
von K. Kuppig), „daß der Mensch Gott in der Ausdruckseinheit von
Wort, Ton und Bewegung begegnet ist" (S. 5). A. R. Sequeira läßt
grüßen, doch man kann nicht darüber hinwegsehen, daß
der Tanz im altl. Kultgesetz nicht zu finden ist. – Im Abschnitt „Meditativer
Tanz" wird plötzlich der Begriff des „sakralen Tanzens" eingeführt
und einerseits quasi mit dem Meditativen Tanz gleichgesetzt, andererseits
findet sich darunter auch noch F. Barboza erwähnt. Hier wären
unbedingt mehr Ausführungen und Erläuterungen angebracht gewesen,
denn nach dem Titel der Mappe sollte ja neben der Musik namentlich das
Meditative Tanzen den Hauptgegenstand der Arbeitshilfe verkörpern.
Allenthalben fehlt wenigstens ein Hinweis darauf – gerade im Hinblick auf
das Meditative Tanzen! –, daß Tanz nicht nur eine Ausdrucksdimension,
sondern auch eine wichtige Erfahrungsweise (von Freiheit, Harmonie usw.)
ist. Das sich im Umfang höchst bescheiden anschließenden Thema
„Bibliodrama" bildet schließlich noch ein Anhängsel, mit dem
man zweifellos niemandem gerecht werden kann und das man wegen der seinetwegen
kürzer geratenen Informationen zum Tanz als kontraproduktiv empfinden
muß.
Die nachfolgend aufgeführten
Unterrichtsziele stellen den Tiefpunkt der Mappe dar: Sie wirken völlig
verkopft, aber dennoch erschreckend undurchdacht, ja regelrecht unsinnig;
m.E. disqualifizieren sie das ganze Projekt. Allgemein sollen die Schülerinnen
und Schüler „das Verhältnis von Theologie und Musik sowie Meditation
und Tanz als geschichtlich gewachsen erkennen und verstehen (und) unterschiedliche
Auffassungen zu diesem Verhältnis kennenlernen und sich um eine eigene
begründete Stellungnahme bemühen." (S. 6) Während gerade
die jugendlichen Schülerinnen und Schüler praktische Zugänge
zu Musik und Tanz haben, die von genuß- und reizvollem Erleben gekennzeichnet
sind, soll der Unterricht also nur intellektuell vorgehen, nicht einmal
konkrete Annäherungen versuchen, stattdessen die Jugendlichen „die
Grundzüge der Definitionen von Meditation, Tanz und Bibliodrama
kennenlernen und nennen" lassen (Hervorh. hier wie alle folgenden von mir).
Entsprechend – was in diesem Duktus zwar logisch, aber nun gerade bei Musik
und Tanz fast nicht mehr zu begreifen ist – sollen die Schülerinnen
und Schüler „Texte unterschiedlicher Art erfassen und in ihrer
Eigenart bewerten". Definitionen und Texte als Annäherung
zu Musik und Tanz! Man greift sich an den Kopf!
Überhaupt nicht im Blick ist
bei der vorgelegten Konzeption die wesentliche Frage, inwieweit das Meditative
Tanzen, das eine spezielle Tanzweise (sakralen Tanzens wie überhaupt)
darstellt und das zudem in seinem Bezug zur Meditation, zum Gottesverständnis
und zur Spiritualität noch einmal eine Problematik sui generis birgt,
besonders für diese Alterstufe geeignet sein soll und deswegen ausgewählt
wurde, um das Verhältnis von Religion und Tanz nahezubringen. Ist
hier wirklich die Jugend und näherhin deren Affektivität im Blick?
Wie gesagt ist das Meditative Tanzen allenthalben eine Domäne der
mittleren bis höheren Lebensjahre.
Weitere Mängel dieser Qualität
zeigen sich bei den Unterrichtsmodellen. Das erste Modell beginnt gleich
mit dem Tanz im Hinduismus und Sufismus unter Verwendung einer entsprechenden
Overheadfolie (einer von ganzen zweien!). Der Eindruck ist zwangsläufig:
Religiöser Tanz ist erst einmal etwas Exotisches, fern von uns und
der hiesigen Kirche. Erst in dem dann angebotenen sehr langen Textauszug
von E. Kohlhaas („Tanz im Chorgestühl?") bekommt der religiöse
Tanz etwas mehr Lokalkolorit, ist allerdings noch immer im absolut ungewohnten
Chorgestühl eines Klosters zu orten. Auch die weiteren empfohlenen
Materialien (der Reigen Jesu aus den gnostischen Johannesakten, ein Zitat
aus der Mystik, Tanz in einem afrikanischen Gottesdienst usw.) schaffen
mehr Distanz als Verstehen. So ist das Ergebnis der Erarbeitung bereits
klar: „Tanzen in der Kirche bleibt ungewöhnlich." (S. 12) –
Beim zweiten vorgestellten Modell werden sämtliche liturgische Aspekte
unter die Überschrift „Meditativer Tanz" subsumiert, ohne daß
der Tanz als eine eigene Ausdrucksdimension der Liturgie irgendeine Erwähnung
fände. Erneut sind die angeratenen Materialien (Beispiele aus dem
Mittelalter, Texte von Profi-Tänzern wie M. Schnelle und M. Nègre,
theoretische Bestimmungen von K. Kuppig) dazu geeignet, religiösen
Tanz als etwas sehr Fremdes, außerhalb der eigenen Sphäre Existierendes
erscheinen zu lassen. Der schon in sich wenig logische Vorschlag, man könne
ja einmal eine eigene Umsetzung in pantomimischen Tanz wagen, verbunden
mit der Empfehlung, sich mit dem Sportkurs Gymnastik-Tanz zusammenzutun
(S. 13), belegt nur leider allzugut, daß die beiden Autoren vom Meditativen
Tanzen wie vom Tanz in der Liturgie erheblich mehr gelesen als erlebt haben.
Aber es kann dennoch nicht genug gewesen sein oder war zu selektiv. Denn
es gibt inzwischen so viele Beispiele dafür, wie ein sakrales Tanzen
für Heutige und Hie-sige, ja für Jugendliche aussehen kann: Leicht
hätte doch wenigstens einmal von stärker rhythmischem Tanz zu
Neuen Geistlichen Liedern, die jeder Katholiken- oder Kir-chentag zu bieten
hat, die Rede sein können. Es hätte sich die Anregung finden
können, einen Schulgottesdienst mit Liedtänzen oder Ausdruckstanz
vorzubereiten. Man hätte auch wenigstens einmal einen einzelnen meditativen
Tanz zum Einüben anbieten kön-nen. Dann sähe man in diesen
Blättern Land in Sicht. Auf solche Weisen kämen wirkliche Erfahrungen,
ein tatsächliches Lernen zustande, hätte das Thema „religiöser
Tanz" einen ganz anderen Bezug zum eigenen Leben als durch weit hergeholte
Texte und exotische Bilder. Wenn man dann noch bedenkt, daß diese
Einheit auch für Vertretungsstunden vorgeschlagen wird, kann man sich
vorstellen, wie die Thematik nur unter „ferner liefen" abgehakt und damit
gleichzeitig entwertet wird. Das Thema und damit untrennbar verbunden den
eigenen Zugang der Schülerinnen und Schüler wird auf solche Weise
destruiert.
Deshalb fragt man sich, was diese
Zusammenstellung eigentlich sollte. Es ist nicht zu übersehen, daß
den Autoren der (sakrale) Tanz in der eigenen Erfahrung fremd ist. In einem
Bereich etwas zu veröffentlichen, den man sich nur angelesenen hat,
sollte man nicht ohne Not, und mit dem Thema „Religion und Musik" allein
wären ebenfalls dreißig Seiten zu füllen gewesen. Warum
haben sich die beiden erfahrenen Pädagogen nur so auf Glatteis begeben?
Hat sie etwa die schulische Praxis gelehrt, daß man dort schon mit
ziemlich weit hergeholten Texten ganz gut über die Runden kommt? Zumindest
bezeugen sie nicht das Gegenteil, verlangen keine echten Fachkenntnisse.
Hoffentlich ist das kein exemplarisches Lehrstück für den Religionsunterricht
allgemein! – Nehmen wir aber zu ihren Gunsten an, sie hätten sich
von den in ihrem Vorwort wiedergegebenen, offensichtlich ebenfalls sich
angelesenen Sätzen verleiten lassen: „Seit Beginn der Menschheitsgeschichte
sind – so scheint es – Religion, Musik und Tanz miteinander verbunden.
Musik und Tanz dienen der Verehrung des Göttlichen." Und sie hätten
diese angebliche archaische, aber nicht mehr heutige Praxis aufgreifen
wollen, weil sie darin diffus etwas Gutes vermuteten. Dann müßte
man nach dem kritischen Studium ihrer Materialmappe allerdings äußern
dürfen, daß schematische, unkreative Arbeitsweisen (hier die
Erschließung und Aneignung eines musischen Bereiches durch Texte)
lediglich dazu ausreichen, das berühmte „gewollt, aber nicht gekonnt"
zu erweisen. Die Aufbereitung des Tanzes bzw. religiösen Tanzes im
allgemeinen und des Meditativen Tanzes im besonderen für die weiterführende
Schule verlangt noch sehr viel mehr an Erfahrung, Reflexion und Kenntnis
und ist für den Anfang nicht mit einer solch kleinen Mappe zu erledigen.
Vielleicht aber kann das vorliegende Negativ-Beispiel andere Pädagoginnen
und Pädagogen dazu bringen, sich an die erforderlichen Arbeiten zu
machen. Denn die „Sache", sagen wir besser: die zu machenden Erfahrungen
sind es sicher wert, auch für Jugendliche entsprechend erschlossen
zu werden.
Gereon Vogler
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