Kerstin Kuppig, Tanz
als Ausdruck des Glaubens. Der religiöse Tanz in Unterricht, Gruppe
und Gemeinde, Lahn-Verlag Limburg 1995, 133 Seiten, DM 24,80.
Wie der Titel schon andeutet, geht
es bei dieser Veröffentlichung einmal nicht primär um die Frage,
wie man Tanz in den Gottesdienst einbringen kann. Der Ansatz ist weiter
gefaßt. Die Autorin nimmt sich die viel grundsätzlichere Frage
vor, ob Tanz Ausdruck des Glaubens und ein Mittel religiöser Erfahrung
sein kann (11f). In diesem Sinne will sie untersuchen, welche Anwendungsmöglichkeiten
sich für den Tanz in Gemeinde, Gruppe und Schule im Dienste der Verkündigung
ergeben (12). „Er soll als eine Form der nonverbalen Glaubensvermittlung
und Glaubenserfahrung vor-gestellt und berücksichtigt werden." (9)
Denn Tanz und Bewegung seien zur ganzheitlichen Persönlichkeitsentwick-lung
wesentlich geeignet und könnten einer Überbetonung einer kognitiven
Entwicklung entgegenwirken (9). – Eine solche derart grundsätzlich
angesetzte Reflexion könnte – wenn sie denn gelänge! – für
die aktuelle Religionspädagogik prinzipiell kaum zu überschätzen
sein, befindet sich diese doch sehr auf der Suche nach ganzheitlichen Wegen
und besitzt vom glaubensinspirierten Tanz noch immer nicht mehr als einen
blassen Schimmer. Die Autorin hat sich mit dieser Fragestellung sehr viel
vorgenommen, so viel, daß man überrascht sein müßte,
wenn es ihr gelänge, zu einer befriedigenden Antwort zu kommen.
In dieser umfänglichen Aufgabenstellung
liegt aber nicht nur die Crux, sondern auch der Vorzug dieser Veröffentlichung.
Vorteilhaft ist das Buch denen, die beginnen, sich mit dem Tanz in der
Praxis beschäftigen und die hier eine recht umfassende Einführung
in das Sachgebiet erhalten. Vom Inhalt wie vom Umfang her ist das Buch
zweigeteilt: Im ersten Teil geht es um die Theorie, nämlich um die
Reflexion von Tanz als Sprache, seiner Stellung in Geschichte und Gegenwart
und als Ausdruck des Glaubens. In der zweiten Hälfte werden ganz praktische
Fragen angegangen, wie Tanz in Schule und Gemeinde zum Einsatz kommen kann.
Daran schließen sich konkrete Anregungen für die Praxis an.
Erfreulicherweise hat die Autorin bewußt kein „Rezeptbuch" vorgelegt,
um nicht von vornherein eigene kreative Ansätze zu verhindern. Ihre
Anregungen für die Praxis fordern zur Mitgestaltung heraus. Der Versuch
des ersten Teils jedoch, eine umfassende Untersuchung über den Tanz
in all seinen Facetten zu bieten, muß zum Scheitern verurteilt sein,
da das Phänomen Tanz zu umfangreich ist. Es bleibt daher meist nur
bei Andeutungen.
Das Problem der Autorin, zu kurz
zu greifen, beginnt schon damit, daß sie den Tanz vor allem anderen
als „nonverbales Kommunikationsmittel" (9) und als „Sprache" (13ff u.ö.)
definiert und ihn daher in den Dienst der Ver-kündigung stellen will.
Dies sicherlich lobenswertes Anliegen läßt jedoch auf eine defizitäre
Sicht von Tanz schließen. Kuppig verwechselt nämlich Sprache
mit Ausdrucksmöglichkeit. Natürlich ist Tanz auch eine Form der
Kommunikation und kann insofern eine Sprache sein. Das ganze Wesen des
Tanzes kann damit jedoch nicht bestimmt werden, da diese Definition etwa
den ganzen Bereich des Künstlerischen nicht erfaßt. Genauso
wenig wird man jedes hüpfende Kind als sich der Tanzsprache bedienend
einordnen können. Gerade im Gebet geht es darum, sich vor Gott auch
ganz unthematisch und unbestimmt ausdrücken zu dürfen. Daß
ja gerade der Tanz die Möglichkeit bietet, seine Gefühle direkt
und ohne Versprachlichung auszudrücken, geht in der permanent wiederholten
Definition des Tanzes als Sprache der Autorin leider weitgehend verloren.
Bei ihrem für ihre Aufgabenstellung
gewiß entbehrlichen „Versuch einer Phänomenologie des Tanzes"
entwickelt Kuppig eine merkwürdige Unterteilung des Tanzes in ein
„Gesellschafts-" und in ein „Bewegungsphänomen". Im Grunde kommt sie
hier auch im Rückgriff auf Dorothee Günther und Curt Sachs nicht
über das Deskriptive hinaus. So sie den Tanz als Glaubenserfahrung
erschließen möchte, wäre hier unter dem Stichwort der Erfahrung
der „Lebensintensität" im Tanz (Sachs) ein Ansatzpunkt für weitergehende
Studien gegeben gewesen, die die Transzendenzerfahrung des Tanzes näher
untersucht hätten. Denn genau dadurch würde ja eine Sicht von
Tanz als ein reines Sprachphänomen überwunden. „Lebensintensität"
bedeutet Verdichtung von Lebenserfahrung, ihre Essenz, die der Tanz zum
Ausdruck bringen könnte. Auch darin müßte der gemeinschaftsbildende
Charakter des Tanzes gesehen werden, nicht allein im gemeinsamen Tun, sondern
in den verdichteten Grunderfahrungen des menschlichen Lebens, die getanzt
werden. Aber diesen wesentlichen Aspekt sieht die Autorin leider nicht
und assoziiert mit „Lebensintensität" nur „Tanzrausch" und „Tanzekstase".
In dem vorliegenden Buch geht es
speziell um „religiösen Tanz". Die Autorin kritisiert zu Recht die
Ungenauigkeit vieler Publikationen bei der Wahl der Begriffe für den
„religiösen Tanz". Sie selbst faßt ihre Definition dann aber
so weit, daß sie letztlich alle anderen addiert und damit ganz unspezifisch
bleibt. Tänze werden nach ihrem „Inhalt" unterteilt, d. h. nach der
Art und Weise, wie sie die vom Tanz abstrahierbare Botschaft transportieren.
Tanz ist also als liturgische Funktion entweder Verkündigung in seiner
Außenwirkung oder Gebet in seiner Innenwirkung (22). Wie läßt
sich dies mit einer Sicht des Tanzes als Spiel oder als ästhetische
Erfahrung (22) verbinden, die zweifellos auch im Religiösen ihre Berechtigung
haben? An dieser Stelle zeigt sich wieder das Defizit des gewählten
Ansatzes, der, wenn man ihn konsequent verfolgte, den Tanz letztlich zur
Gebärdensprache machte. – Insgesamt tut man sich schwer bei der Lektüre
dieser definitorischen Kapitel, weil sie zu weit gefaßt sind.
Erfreulich beginnt das Kapitel über
Tanz in Geschichte und Gegenwart. Die Autorin zeigt die Ernsthaftigkeit
ihrer Auseinandersetzung mit der Materie darin, daß sie den Tanz
nicht historisch legitimieren will. Allerdings bleibt sie dieser Absicht
schon darin nicht treu, indem sie die Prozession im Alten Testament als
„Urform des religiösen Tanzes" bezeichnet (26). Hier und an anderen
Stellen behauptet die Autorin die Existenz von ungebrochenen Tanztraditionen
seit dem alttestamentlichen Judentum, doch einen entsprechenden Beleg bleibt
sie schuldig. Der Überblick über den „Tanz im Alten Testament"
ist ausführlich und sicherlich mühevoll zusammengetragen und
deswegen noch der stärkste Teil des Ganges durch die Geschichte. Aber
schon hier muß man sich fragen, ob man so unkritisch vorgehen kann.
Ich bezweifle, daß man, ohne eine exegetische Methode anzuwenden,
wirklich etwas Gesichertes über Tänze im Alten Testament sagen
kann. Entsprechendes gilt für die weiteren Geschichtsphasen, in denen
die Autorin den altbekannten Darstellungen von z.B. Oesterly, Backman,
Sachs und Sequeira vertrauensvoll folgt und nicht nur deren Irrtüner
übernimmt, sondern auch noch einige hinzufügt. Natürlich
kann nicht jede und jeder Historienstudien betreiben, aber es ist auch
niemand dazu verpflichtet – gerade wenn man endlich einmal auf die historische
Legitimation verzichten will -, unbedingt den geschichtlichen Überflug
über 3000 Jahre jüdisch-christliche Tanzgeschichte noch einmal
zu rekapitulieren, insbesondere dann nicht, wenn die ganze Schlußfolgerung
nur lautet, daß man zu allen Zeiten wohl etwas im Glauben getanzt
hat, aber die Kirche damit ihre Schwierigkeiten hatte. Was – darf man einmal
fragen – hat dieser Überblick für die von der Autorin selbst
gewählten Fragestellung gebracht? Wäre nicht statt dessen z.B.
eine entwicklungs- und religionspsychologische Reflexion nonverbalen Lernens
und Erlebens als Voraussetzungen zur Arbeit mit (religiösem) Tanz
viel angebrachter gewesen?
Leider wurde die Chance der Auseinandersetzung
mit A. Ronalds Sequeiras Ansatz vertan. Die explizite Abgrenzung von seinem
Ansatz, die die Autorin vollziehen will (46), ist ihr m.E. in ihrem Buch
nicht gelungen. Dies zeigt das Kapitel über den Tanz als Ausdruck
des Glaubens, in dem sie auf die Affinität von Tanz und Gottesdienst
eingeht. Diese Affinität sieht sie vollkommen richtig in der Festlichkeit
und Symbolhaftigkeit beider Größen. Über ihr Verständnis
des Symbolcharakters des Tanzes, den sie in seinem Ausdruck eines inneren
Inhalts durch den ganzen Bewegungsvorgang sieht (55), kann man sehr geteilter
Meinung sein. Ich denke, daß der Symbolcharakter des Tanzes eher
in der Einheit von Bewegungsausdruck und „Inhalt" gesehen werden müßte
als in der Funktionalisierung des einen durch den anderen. Ich stimme mit
der Autorin darin überein, daß es bei Symbolen um die „ganz-heit-liche
Erfahrung einer Wirklichkeit" (59) geht, ihre Schlußfolgerungen daraus,
daß dem Tanz bestimmte Funktionen und Wirkungen zugerechnet werden
können, kann ich jedoch nicht nachvollziehen. Fragwürdig bleibt
auch der Sinn des Exkurses in die Sonnen- und Mondsymbolik (60/61). Ist
das am Ende eine Bejahung der These von den tanzbaren archetypischen „Ursymbolen"
bzw. „Bewegungsarchetypen", wie sie sich bei Bernhard und Maria-Gabriele
Wosien findet?
Daß Kuppig Hugo Rahner und
besonders Romano Guardini in seiner Bedeutung für die Neugestaltung
der Liturgie in bezug auf die Bewegungsdimension nennt, ist als eine Stärke
des breiten Ansatzes zu sehen, denn sie trägt damit der ästhetischen
Dimension des Gottesdienst Rechnung. Doch ihre Sicht des Gottesdienstes
nur in erster Linie als Verkündigung und Gebet rührt wohl von
einem protestantischen Liturgieverständnis her – was nicht impliziert,
daß diese Einengung in ähnlicher Form nicht auch bei katholischen
Autoren, wie z. B. Sequeira, zu finden ist. Verkündigungstänze
für die einfachste Form der Integration von Tanz in den Gottesdienst
zu halten, scheint mir allerdings doch zu naiv, es sei denn, man erhebt
pantomimische Versuche in diesen Rang. Ansätze auf diesem Gebiet haben
gezeigt, daß gerade Verkündigungstänze ihre ganz eigene
Problematik haben.
Der zweite Teil behandelt Anwendungsmöglichkeiten
für Tanz in Schule und Gemeinde. Wer hier Rezepte für den „Einsatz"
von Tänzen erwartet, wird enttäuscht. Statt dessen geht die Autorin
alle auch nur denkbaren Fragen durch, die der religiöse Tanz aufwirft.
Erfrischend ist ihre Abgrenzung von „Tanzaufführungen", die vor allem
Kindergottesdienste landauf landab prägen, zu der Akzeptanz von Tanz
in der Liturgie jedoch nichts beitragen, da Kindern eine Sonderrolle zugedacht
wird. Entgegen dieser Praxis ist Tanz in allen Altersgruppen möglich
und erwünscht. Es ist wichtig, zunächst zu versuchen, Hemmschwellen
abzubauen. Dazu gibt die Autorin einige Anregungen zur Körperarbeit.
Ihre Beispiele für konkrete Tänze belassen den Tanz dann allerdings
zu sehr im Bereich der Pantomime, bzw. der Bewegungsspiele.
Wer mit dem Gedanken spielt, Tanz
in irgendeiner Form in Schule und/oder Gemeinde einzubringen, für
den eignet sich dieses Buch gut als Einstieg in das Thema. Die Erfahrungen
der Autorin machen Mut für ein eigenes Erproben. Sie gibt zum einen
Argumentationshilfen gegen Skeptiker und liefert zum anderen Anregungen
für die praktische Ein-arbeitung – nicht weniger, aber auch nicht
mehr. Das Phänomen des religiösen Tanzens in seiner ganzen Breite
und Vielfalt wird hier nur eben angetippt. Vieles, auch von dem, was sich
in neuester Zeit getan hat, sieht Kerstin Kuppig nicht. Tanz kann freilich
ein Ausdruck des Glaubens und der Glaubenserfahrung sein – doch wer das
für sich erreichen möchte, hat einen sicher langen Weg von Körpersensibilisierung
und geistlicher Selbsterfahrung vor sich. Wer sich daher nicht mit Bewegungsspielen
zufrieden geben will – was verglichen mit der gegenwärtigen Praxis
der Glaubens-vermittlung ja schon ein gewaltiger Schritt ist –, sondern
Tanz als Ausdruck des Glaubens wirklich einüben möchte, der bedarf
weiteren Arbeitsmaterials.
Claudia Seeger
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