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Bodo Leinberger (Hg.), Getanztes Leben. Heilende Liturgie, mit Beiträgen von Walter J. Hollenweger und Peter Bubmann, Verlag Wort im Bild, Hammersbach 1993, 128 Seiten.

Dieses Büchlein ist entstanden als eine Art Bericht über ein gemeinsames Projekt des Pfarrers Bodo Leinbergers, des bekannten früheren Missionswissenschaftlers und heutigen Fachmannes für narrative Theologie Walter J. Hollenweger, des Kirchenmusikers Peter Bubmann sowie der Hanauer Ballettschule von Ursula Neuhaus. Das Unternehmen „Getanztes Leben. Heilende Liturgie" möchte drei Zugänge zum Themenbereich „heilendes Handeln der Gemeinde" eröffnen, die der Herausgeber mit „Liturgie zum Anfassen", „Ton des Lebens" und „Heilende Seelsorge" benennt. Sein Anliegen ist es, die Liturgie wieder als Ort des Heils und der Heilung des Menschen zu entdecken. Dies schließt auch die musikalische und tänzerische Dimension mit ein. Liturgie und Seelsorge werden nicht als getrennte, sondern als ineinandergreifende Bereiche gesehen.
Was dieser Ansatz praktisch bedeutet, illustriert Bodo Leinberger an der Ballett-Liturgie „Der Knabe und die Mondin", die an Mk 9,14-29 und Mt 17,14-21 (der fall- bzw. mondsüchtige Junge) angelehnt ist. Diese getanzte Liturgie ist bestimmt von einer psychologischen Auslegung der Perikope. In der Perikope fällt auf, daß die Mutter nie genannt wird; sie bzw. das Mütterliche fehlt dem Jungen. Darum wird die Mondsucht des Jungen gedeutet als krankmachende Sehnsucht nach einer imaginären Frauengestalt (Mond als Bild des Weiblichen). Der Junge projiziert seine Beziehungsprobleme (insbesondere zu Frauen) auf die „Mondin" und verrennt sich in seiner Sehnsucht nach ihr in eine Traumwelt, was ihn zunehmend beziehungsunfähig macht. Von Haß und Liebe zur Luna hin- und hergezerrt, findet er aus sich heraus keinen Ausweg. Erst in der Begegnung mit Jesus kann er das Zerrbild fahren und sich von ihm aufrichten lassen.
Dieses Verständnis des Evangeliums wurde choreographisch umgesetzt. Nachdem die Gemeinde das Lied „Der Mond ist aufgegangen" gesungen hat, leitet ein Sprecher als Vater des Jungen die Szene mit der Bitte an Jesus ein, sein Kind zu heilen. Zu dem musikalischen Motiv des Mondliedes tanzen der Junge und die Mondin im ersten Bild die Faszination und Hysterie einer Beziehung. Die Gemeinde singt zum Abschluß dieses Bildes wieder „Der Mond ist aufgegangen" in einer musikalisch ironisierenden Version. Als zweites Bild tanzen einige Tänzer die ohnmächtige Klage des Vaters, als drittes Bild zum Bolero-Rhythmus die laute Klage darüber, daß die Jünger den Geist nicht austreiben konnten. Sprachliche und tänzerische Elemente wechseln sich bei diesen Bildern ab. Das Ausfahren des Geistes bildet den Abschluß. Das vierte und letzte Bild stellt das Auferstehen und die Heilung des Jungen dar. Auch die Mondin steht wieder auf und tanzt abschließend ein pas de deux mit dem Jungen, bei dem sie sich jedoch in eine (gesunden) Distanz zu ihm begibt. Nicht der Mond an sich ist böse, sondern die übersteigerte Sehnsucht des Jungen, die eine gesunde Beziehung unmöglich machte. Der Tanzteil wird beendet mit dem Hinweis Jesu, daß man diese Art Geist nur durch Beten austreiben kann.
An die getanzte Liturgie schließt sich eine Salbungsliturgie an, bei der die Gemeinde sich auch körperlich mit in das Gebet hineinnehmen lassen kann.
Der Entwurf von Bodo Leinberger ist ein Beispiel für kreativen Umgang mit der Liturgie, der Poesie, Musik und Tanz gleichermaßen einbezieht. Es ist der Versuch, mit Hilfe der Kunst eine Brücke zu schlagen von der Dramaturgie biblischer Geschichten zum Leben der Gemeinde. Der Tanz gehört ganz selbstverständlich hinzu, er ist Liturgie und bedarf daher gesonderten Begründung.
Das „Drehbuch" der „heilenden" Liturgie eignet sich nicht zur unkritischen Übernahme, denn es ist nicht das Anlie-gen des Buches, Praxismodelle zu liefern. Vielmehr kann es demjenigen als Lesebuch dienen, der aus Liebe zur Liturgie auf der Suche nach einem kreativen Umgang mit ihr ist.

Claudia Brüser
 
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