Pierre Stutz, Gottesdienste
ganzheitlich feiern. Modelle für Gruppen und Gemeinden. Mit Tänzen
von Marlis Ott, rex Verlag, Luzern/Stuttgart 1995, DM 36,80.
Wieder einmal liegt ein Buch mit
Gottesdienstmodellen vor, dessen Titel dem alternative Liturgieformen Suchenden
einiges verheißt: „Gottesdienste ganzheitlich feiern." Der Gedanke
der Ganzheitlichkeit durchzieht tatsächlich das ganze Buch und wird
in der Zusammenstellung solch vieler verschiedener Ausdrucks- und Erfahrungsformen
wie Gebetstexte, Lieder, (Kerzen-)Ritualen, Tänzen, Körpermeditationen,
Kurzgeschichten, Gedichten usw. dem eigenen Anspruch durchaus gerecht.
Schon sein Cover will die Sinne entsprechend ansprechen: mit der Innenansicht
einer alten Kapelle oder Seitenkapelle, in die durch ein Fenster das Sonnenlicht
seitlich einfällt, mit dem Weichzeichner bearbeitet und auf diese
Weise leicht romantisch-monastisch angehaucht. Auch das Inhaltsverzeichnis
weist verheißungsvolle Überschriften auf („Unserer Sehnsucht
Raum geben", „Zärtliches Beten", „Zugemuteter Aufbruch" usw.). Statt
eines Vorwortes ist von „Weggedanken" die Rede. Ein alphabetisches Stichwortregister,
das Bibelstellenregister und viele Literaturhinweise zeugen von der Benutzerfreundlichkeit
des Buches.
Wenden wir uns zunächst den
„Weggedanken" zu. Der Autor, als Priester Jugendseelsorger in Luzern, skizziert
zunächst eine allgemeine Sehnsucht, zur Ruhe kommen zu können,
die er den Urwunsch nach Ganzheit nennt (7). Demgegenüber sieht er
die kopforientierten Gottesdienste, die ihre Teilnehmer mit zu vielem überfordern.
Darum will das vorliegende Buch beim Zur-Ruhe-Kommen in Gottesdiensten
helfen. Der Autor betont, daß es nicht darum geht, die Modelle unkritisch
zu übernehmen. Sie sollen vielmehr ein Pool von Anregungen und Elementen
sein, aus dem jeder sich das Passende aussuchen kann. Dabei gilt: Weniger
ist oft mehr. Sehr wichtig sind dem Autor Symbole, Rituale, das Hören
und Erspüren. Durch das behutsame Umgehen mit Symbolen und anderen
Weisen des Innehaltens in gottesdienstlichen Feiern sieht er eine Sensibilisierung
ermöglicht, die die Spuren Gottes in unserem Leben zu entdecken und
deswegen Hoffnung zu geben vermag. Dazu gehören auch „urmenschliche
Grundhaltungen" (10) des Leibes, denen in den Gottesdiensten eine besondere
Aufmerksamkeit zukommen soll.
In einem solchen Konzept darf –
mittlerweile – auch der Tanz nicht fehlen, der hier als meditatives Kreisen
um eine Mitte verstanden wird (11). Doch der Tanz ist offensichtlich nicht
so die Sache des Autors, denn sowohl in der Einführung als auch in
den praktischen Modellen nimmt er die Hilfe von Marlis Ott bzw. Pia Birri
Brunner in Anspruch. Unter der Überschrift „Tanz als Gebet", einem
umfänglichen Zitat von Pia Birri Brunner, wird jedoch der Tanz als
eine auffällige Schwachstelle dieses Buches deutlich, denn was sie
hier bringt, ist im Grunde nichts anderes als eine simple Rezeption einiger
Gedanken Bernhard Wosiens und z.T. einfach sachlich falsch. Und: Ihre Ausführungen
beziehen sich überwiegend überhaupt nicht auf die nachfolgenden
Tänze! Denn die Wosien-Schülerin schwärmt von einem meditierendem
Kreisen um eine Mitte als Nachvollzug von „Ursymbolen" mit der Absicht,
„durch das gemeinsame Kreisen um die Mitte zur eigenen Mitte zu finden"
bzw. zu Gott (11). Die Schöpferin der Tanzmodelle, Marlis Ott, jedoch,
die nicht aus der Wosien-Schule kommt, geht nicht vom meditativen Reigen,
sondern von neuen geistlichen Liedern aus. Diese „Bewegungsvorschläge",
wie sie in den Modellen genannt werden, illustrieren vor allem den Inhalt
der gesungenen Lieder und haben von daher nur bedingt etwas Meditatives
an sich. So beginnt z.B. ein Bewegungsvorschlag zu dem Lied „Zu fällen
einen schönen Baum" damit, daß die Teilnehmenden „mit der starr
ausgestreckten rechten Hand scharf von oben nach unten schneiden" (138).
Bei dem Lied „Aus tiefen Brunnen schöpfen" wird nicht nur das Wasserholen
in allen Phasen nachgespielt, sondern der Genuß des „Lebenswassers"
mit einer Drehung „wie unter einer ‘Dusche’" zur Darstellung gebracht (151f).
Für einen intensiveren Nachvollzug der Text-aussagen – sofern man
dies anstrebt – mag dieses pantomimische Nachspielen ein guter Weg sein.
Eine Einbindung der Tänze in eine meditative Feier mit dem Ziel, die
Mitfeiernden zur Ruhe kommen zu lassen, kann man sich hingegen nur schwer
vorstellen, da sie eher lebhaft, zum Teil auch etwas gekünstelt wirken.
Andererseits bieten die Tänze
sicherlich die Möglichkeit, in einen Gottesdienst Bewegung und leiblich-sichtbaren
Ausdruck hineinzubringen. Zudem sind die Tänze bis auf die Teile,
wo man wissen muß, was man darstellen soll, und bis auf einen, der
eine „Korbfassung" vorsieht, so einfach, daß auch Ungeübte bald
mitmachen können. Sie zeichnen sich dadurch aus, daß sie möglichst
viele der Mitfeiernden einbeziehen wollen. Allerdings braucht man dazu
viel, viel freien Raum und eine Sitzordnung, bei der sich die Mitfeiernden
nicht erst schwerfällig aus den Bänken herausschälen müssen
– wo gibt es schon solche Verhältnisse außer in Gruppengottesdiensten
im Bildungshaus? Lediglich ein Tanz bietet noch eine Anregung für
die in Bänken Sitzenden.
So wollen die vorgeschlagenen Tänze
nicht so recht zu den ansonsten sehr durchdachten, tiefen und ansprechenden
Vorschlägen zur Gottesdienstgestaltung von Pierre Stutz passen, ja
sie bilden sogar einen ziemlichen Gegensatz. Eine so präsentierte
Ganzheitlichkeit stellt sich darum dar als die bloße Summierung dessen,
was man alles liturgisch machen kann, wozu eben auch das Tanzen gehört,
nicht aber als eine gewünschte Integration der den Menschen betreffenden
Dimensionen. Den Leitsatz des „Weniger ist mehr", den Pierre Stutz seinen
Lesern zum Gebrauch des Buches mit an die Hand gibt, hat er hier selbst
nicht realisiert. Warum hat er es nicht bei seinen eigenen von ihm selbst
erprobten Vorschlägen belassen und den – ihm anscheinend nicht vertrauten
– Bereich des Tanzes ausgespart? Das Buch und die darin angestrebte Ganzheitlichkeit
hätten dadurch nicht an Qualität eingebüßt. Denn Pierre
Stutz weiß sehr wohl mit der Leiblichkeit umzugehen: Seine ganz elementaren
Einladungen, sich z.B. in seinem Stehen vor Gott und den Menschen einmal
bewußt wahrzunehmen (15/17) oder sich am Abend auf den Boden zu legen,
um das Schwere des Tages an Gott abzugeben (104), haben eine große
Weisheit.
Es ist zweifellos wünschenswert,
bei möglichst ganzheitlichen Gottesdiensten auch den Tanz mit einzubeziehen
– aber nicht in jedem Fall und um jeden Preis. In diesem Fall etwa kommt
der (mehr oder weniger) meditative Tanz eher wie eine Modeerscheinung daher,
die der Ganzheitlichkeit quasi noch ihren letzten Schliff verleihen soll.
Damit ist jedoch, so denke ich, weder der Sache noch den Menschen gedient,
die Gottesdienst feiern. Mit diesem grundsätzlich höchst lobenswerten
Versuch von Pierre Stutz, heutige und künftige Gottesdienstgestaltung
in der Verpflichtung zur Ganzheitlichkeit zu sehen und zu tun, entsteht
in einem verschärften Maße das Problem, daß weder einer
alles beherrschen noch man einfach die „Bausteine" verschiedener Autoren
zusammensetzen kann. Wahrscheinlich besteht die Lösung des Problems
darin, sich einerseits intensiv auf weniger vertraute (insbesondere die
leiblichen) Dimensionen einzulassen, andererseits Ganzheitlichkeit auch
als die Kunst der Authentizität zu begreifen. – Das Buch ist also
zwar keine Empfehlung für den Einbezug von (meditativem) Tanz in den
Gottesdienst. Wer aber auf der Suche nach ganzheitlichen Formen zur Gestaltung
der Liturgie ist, für den ist es aufgrund seiner Vielfalt und Echtheit
eine lohnenswerte Anschaffung.
Claudia Seeger
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