Gereon Vogler / Josef
Sudbrack / Emmanuela Kohlhaas, Tanz und Spiritualität, Mat-thias-Grünewald-Verlag
Mainz 1995, 168 Seiten, DM 32,00.
In der mittlerweile stark angewachsenen
Flut von Schriften zum „sakralen" oder „meditativen" Tanz liegt nun ein
neues Buch vor, das durch seinen Titel Grundsätzliches verheißt:
„Tanz und Spiritualität".
Aus der Einführung von Gereon
Vogler läßt sich entnehmen, daß es um die Frage geht,
wie Tanzen und christlicher Glaubensvollzug zusammenhängen – und wann
religiöses, sakrales oder meditatives Tanzen auch „christlich" genannt
werden kann. „Die Beiträge sind im Zusammenhang mit der 3. Mönchengladbacher
Tagung zum sakralen Tanz (April 1993) entstanden, die den Titel ‘Kontemplation
und Tanz – ein Spannungsfeld’ trug. Sie dokumentieren das aktuelle Bemühen
um die theologische Reflexion einer leibintegrativen Spiritualität
und wollen dazu einladen, Spiritualität und Theologie ganzheitlicher
zu gestalten und den neuen Entwicklungen des liturgischen und sakral-meditativen
Tanzens differenziert zu begegnen." (Vogler, 18)
Im ersten Beitrag geht Josef Sudbrack
SJ dem Tanz in der Geschichte der christlichen Spiritualität nach.
In seinem gerafften und gleichwohl informativen Überblick weist Sudbrack
nach, daß der Tanz zwar zu allen Zeiten zur religiösen Praxis
gehörte, aber „in den offiziellen Großkirchen des Christentums,
im orthodoxen Judentum und in orthodoxen Islam ... als religiös-liturgischer
und auch als fromm-persönlicher Ausdruck nur am Rande stand, wenn
er nicht sogar verfemt war" (27). Seine Darlegungen, weshalb der Tanz zwar
als Topos in der christlichen Mystik und Theologie sehr beliebt war, als
irdische Realität aber abgelehnt wurde, beinhalten eine differenzierte
und ausgewogene Darstellung der heiklen Rolle der Leiblichkeit – ihre Sicht
und Bewertung – in der Geschichte der Spiritualität bis heute.
Der zweite Beitrag stammt von Emmanuela
Kohlhaas OSB. Frisch und engagiert berichtet sie von ihren vorklösterlichen
Leib- und Tanzerfahrungen und deren tastender Fortsetzung in einer benediktinisch-
kontemplativen Gemeinschaft. Zwar
gibt es da keinen „Tanz im Chorgestühl" (– so ihr Titel –), dafür
aber etliche Versuche, tänzerische Elemente zunächst im kleinen
Kreis, dann aber auch im gemeinschaftlichen Gottesdienst zu verwirklichen.
Ihr Exkurs über die Geschichte der „Leiblichkeit im Ordensleben" und
über den „Tanz als Phänomen menschlicher Existenz" geht kaum
über das hinaus, was schon bei Sudbrack zu lesen war. Vielleicht wäre
hier eine Einschränkung sinnvoll gewesen zugunsten einer Erweiterung
und Fortführung der Gedanken zu „Tanz und Kontemplation". Statt des
Nachweises, daß Bewegung und Tanz nicht nur in der Bibel, sondern
vor allem auch in der Tradition großer Mystiker verankert ist, hätte
man hier den spezifisch benediktinischen Ansatz einer leib-haftigen Spiritualität
erwartet. (Es sei nur auf das 19. Kapitel der Regel Benedikts verwiesen!)
So hätte sie z.B. für die von ihr selbst formulierte Frage, wie
„es eigentlich um das Dreiecksverhältnis von Tanz, Liturgie und Kontemplation"
(79) stehe, wenigstens ansatzweise eine Antwort versuchen können.
Ebenso hätte ihr Hinweis, daß die „Beziehung von Liturgie und
Kontemplation schon immer spannungsreich und fruchtbar" (79) gewesen sei,
im Hinblick auf ihr Thema noch eine Vertiefung verdient gehabt.
Im dritten Beitrag ergreift wieder
Josef Sudbrack das Wort und führt in Texte Mechthilds von Magdeburg
(13. Jh.) ein, die im mystischen Erleben den Weg der Reinigung und der
Vereinigung mit Gott als Tanz sieht. Er zeigt daran auf, daß Gebet
und Meditation ganzheitliche Vollzüge des Menschen sind, und begründet
dies mit einer konsequent durchgedachten Inkarnationstheologie. Anschließend
untersucht er noch verschiedene Aspekte des Tanzes (Einswerden, Loslassen,
Spiel, Musik, Rhythmus etc.), die zu einer religiösen Erfahrung beitragen
können. Zum Schluß weist er darauf hin, daß Tanz dann
zum Gebet wird, wenn sich darin „ein Hinhören, ein Schauen auf Gott"
(107) oder das „Überfließen des inneren Ergriffenseins von Gott"
(106) ereignen.
Im vierten und letzten Beitrag versucht
Gereon Vogler, das Wesen eines spezifisch „christlichen" Tanzens noch klarer
herauszustellen. Er setzt sich dabei gegen den „Sakralen Tanz" inhaltlich
eher diffus-religiösen Verständnisses ab, wie er vor allem von
Maria-Gabriele Wosien gelehrt wird. Zustimmen muß man seiner Feststellung:
„... das Meditative Tanzen hätte etwas Substantielles in die europäischen
Kirchen einzubringen gehabt, wenn es nicht so leichtfertig auf jegliche
theologische und spirituelle Vertiefung verzichtet hätte" (135).
Sein Bemühen, den Tanz als
gleichwertige, ja sogar als eine Höchstform im Spektrum christlicher
Glaubens- und Lebensvollzüge darzustellen, fördert vor allem
im zweiten („Klärungen") und dritten („Sitz im Leben") Teil seiner
Darlegungen beachtenswerte und anregende Gedanken zutage. So wird mit Recht
darauf aufmerksam gemacht, daß „nicht jedes Tanzen in Ergriffenheit
bereits Gebet (ist)" (131) und daß der Ansatz für ein ausgesprochen
christliches Verständnis des Tanzes als Gebet (wie z.B. von Gabriele
Wollmann entwickelt) „noch sehr der Erprobung und Prüfung (bedarf)"
(139). Hilfreich sind auch die Hinweise auf die Ambivalenz von Tanzerfahrungen:
Einerseits kann das Tanzen aus einer depressiven Verstimmtheit herausführen,
andererseits aber auch bei zu bestimmten Erwartungen an Harmonie und Schönheit
enttäuschen. Wichtig ist deshalb, daß Vogler Gebet und Tanz
miteinander verknüpft, indem er „daran erinnert, daß das Gebet
vor allem das Dasein vor Gott meint, Verweilen in seiner Gegenwart. Wenn
wir unsere leibliche Existenz ernst nehmen, dann können wir vielleicht
viel authentischer vor Gott dasein, als wir das verbal ausdrücken
könnten." (141) Und er ermutigt zu Gebärden und Haltungen, die
in dieser Weise „authentisch" sind. – Im Blick auf die Gemeinschaft der
Glaubenden und Betenden bei liturgischen Vollzügen „träumt" er
zwar vom Tanz als einem ähnlich fest integrierten Bestandteil wie
die Kirchenmusik, aber realistisch stellt er fest: „Es ist noch ein sehr
langer Weg zurückzulegen zum Erreichen einer ‘ars celebrandi’ der
Gemeinde, einer Kunst, Gottesdienst zu feiern, in der auch der Tanz seinen
Platz findet." (157)
Insgesamt wäre noch anzumerken,
daß inhaltliche Überschneidungen, die bei Vorträgen verschiedener
Referenten nie ganz zu verhindern sind, bei der Überarbeitung als
Buch aber hätten vermieden werden können. So stößt
man auch bei Voglers Beitrag vor allem im ersten Teil auf Wiederholungen
des vorher schon von Sudbrack Gesagten. Dennoch bietet dieses Buch eine
grundlegende Handreichung für alle, die im breiten Angebot des religiösen
Tanzes nach einem christlichen „Orientierungsfaden" suchen. In diesem Sinne
möchte man allen Lesern dieses Buches wünschen, was Vogler in
seiner Einführung als Anliegen formulierte: „Vor allem aber möchten
(die Beiträge) Mut und Lust machen, sich selbst auf eine bewegte und
bewegende Spiritualität einzulassen".
Petra Knauer
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