Björn Ulbrich, Im
Tanz der Elemente. Kult und Ritus der heidnischen Gemeinschaft, Aurun-Verlag,
Vilsbiburg 1990, 542 Seiten.
Rezensionen möchten grundsätzlich
gerne Bücher empfehlen. Zuweilen liest man jedoch Bücher, die
man nach eingehender Lektüre beim besten Willen nicht empfehlen kann.
Es gibt aber auch Bücher, die man nicht empfehlen möchte, zu
deren Studium man jedoch aus bestimmten Gründen raten könnte,
weil sie trotz allem den Rezensenten nachdenklich gemacht haben. Ein solches
Buch soll hier besprochen werden.
Uns interessiert die Verbindung
von Ritual bzw. Ritus und Tanz, und in der Tat finden wir dazu hier eine
Fülle von Anregungen – aber anders als erwartet. Der Untertitel „Kult
und Ritus der heidnischen Gemeinschaft" läßt eine religionsgeschichtliche
oder -wissenschaftliche Abhandlung vermuten. Stattdessen begegnet man einer
vitalen, selbstbewußten und kraftvollen Selbstdarstellung eines zeitgenössischen,
modernen „Heidentums" in Form eines Handbuches. Wer bei dieser Selbstbezeichnung
überrascht ist, darf sich vom Autor, nach eigenen Angaben Dipl.-Ingenieur
(FH), Fachgebiet Technischer Umweltschutz, belehren lassen, daß „Heidentum"
heute umgangssprachlich ein „fester Sammelbegriff für die freie Religiosität"
(17) sei. So gesehen haben wir es gar nicht mit einem so ausgefallenen
Phänomen zu tun.
Überhaupt: Vieles kommt uns
bekannt vor, Formulierungen wie nicht wenige Inhalte erinnern uns frappant
an Angebote und Beschreibungen des Meditativen Tanzens. Die weisheitlichen
Quellen, auf die man sich beruft, werden hier wie dort archaisch bzw. archetypisch
genannt, die Bewußtmachung der Urbilder heilend, die Kreisform als
eine Ver-bindung mit dem Göttlichen, die Kreismitte als heilig, zentrale
Symbole sind auch hier Kreis, Spirale, Fünfstern, Sonnenrad usw.,
und vor allem gehört der Tanz fast unabdingbar zum Ritual dazu. Ein
hilfreiches Buch für das Meditative Tanzen also? Vielleicht – wenn
es nachdenklich macht.
In der letzten Zeit hat sich unter
den Freundinnen und Freunden des Meditativen Tanzens neben anderen eine
Richtung breit entwickelt, der die Verbindung meditativer Tänze mit
der Ritualgestaltung wichtig ist. Wenn man sich an dem Heftchen KREISEZIEHEN
orientiert, die für diesen Bereich ziemlich repräsentativ sein
dürfte, so wuchsen und hielten sich geraume Zeit Angebote, sich anläßlich
von Sonnenwendfeiern, zum Neumond oder zum Frühlingsbeginn usw. zu
versammeln und mehr oder weniger entsprechende Tänze mitzutanzen.
Außerdem gab es Einladungen zu Kräuter-, Indianer- und Erdtänzen
u.ä., so daß man mit Recht von einer manifesten naturspirituellen
Orientierung eines solchen Meditativen Tanzens sprechen konnte.
Inzwischen hat sich dort die Bedeutung des Rituals entwickelt. So ist von
„Ritualfrauen" zu lesen, das Labyrinth gilt als „Frauenkraftort" und dient
als eine Art geheiligter Ort, an dem heilende Rituale (buchstäblich)
begangen werden (vgl. KREISEZIEHEN 1994). Manche Ausprägung der Ritualformen,
über die beim Meditativen Tanzen zu lesen ist, scheinen noch etwas
verhalten bzw. in der Entwicklung begriffen. Auch anderenorts, z.B. in
der Frauenbewegung, erprobt man neue Rituale und tastet sich ebenfalls
langsam vor. Das Buch, das hier vorgestellt wird, scheint dieses Problem
jedoch längst im Griff zu haben: Zwar gibt es bereits zu Ritualen
vom Meditativen Tanzen bis zum Feminismus eine Reihe von praxisorientierter
Literatur in sehr unterschiedlicher Qualität, doch eine solche Stoff-
und Materialsammlung wie das vorliegende heidnische Handbuch ist uns noch
nicht begegnet. Das Bemerkenswerte dabei ist, daß der Autor im Unterschied
zu manch anderen nicht bei Texten als dem wesentlichen Element der Rituale
auskommt, auch nicht bei einer Folge von unerklärten Tänzen,
sondern vielmehr auf vielfach noch lebendiges Brauchtum zurückgreift.
Für diejenigen, die sich oft genug gefragt haben, ob wir Mitteleuropäer
denn so verarmt sind, daß wir stets auf die Formen Südosteuropas
oder noch fernerer Länder zurückgreifen müssen, gibt es
hier eine positive Antwort. Das erfreut zu registrieren, hat nichts mit
rechter Ideologie zu tun, obwohl eben das im vorliegenden Buch doch ein
Problem ist, wie wir noch sehen werden. – Die gegenwärtigen Ritualentwicklungen
muß man als Reaktion auf die abstrakte und deswegen häufig langweilige
aktuelle Liturgie sehen. Neue Rituale beschränken sich nicht auf Sakramentenspendungen,
sondern orientieren sich stärker an den Lebensvollzügen. Während
die Frauenbewegung eine Vielzahl von Ritualen als Antwort auf Probleme
der modernen Gesellschaft hervorgebracht hat (vgl. Rosemary Radford Ruether,
Unsere Wunden heilen, unsere Befreiung feiern. Rituale in der Frauenkirche,
Stuttgart 1988, mit Heilritualen für mißhandelte oder vergewaltigte
Frauen, mit einem Ritual für das Coming-out einer Lesbierin usw.),
beschreibt der Autor hier Lebens-, Jugend-, Ehe- und Totenleiten, Rituale
des Jahreslaufes, des Mondkultes und des Männerbundes überwiegend
in bezug auf die Naturverbundenheit bzw. auf die „Sippe". Hierin steht
das Buch also dem Meditativen Tanzen einer naturspirituellen Ausrichtung
sehr nahe und könnte sogar in manchem eine passende Ergänzung
sein. Denn hier werden auch einmal die Männer ausdrücklich berücksichtigt
und wird zu dem häufig so Betulichen und Kraftlosen des Meditativen
Tanzens eine vitale Alternative geboten.
Allerdings schießt der Autor
Björn Ulbrich erheblich über das Ziel hinaus, selbst wenn man
versucht, die antichristliche Polemik zu übersehen und das eigenartige
„Heidentum" als persönliche Glaubensentscheidung zu respektieren.
Was zunächst den Tanz angeht, zählt das Kapitel „Der kultische
Tanz" zu den schwächsten des Buches. Der kultische Sinn des Tanzes
liege vornehmlich in einer Art Bewegungs- und Vegetationsmagie, schreibt
Ulrich dort und empfiehlt dazu als passendes Schuhwerk „eine Mischung aus
Kampfstiefeln
und Rohkostsandale" (197). Die Tänze, die er auswählt,
sind vital und entstammen tatsächlich der mitteleuropäischen
Tradition, aber z.B. dem „Schwerttanz" verschafft das keine größere
humane Legitimation. Regelrecht übel kann der Leserin oder dem Leser
bei den Ausführungen zum „Sonnentanz" werden, für den der Autor
erhebliche Anleihen bei den Lakota macht und den er als Initationstanz
realisieren will: Hoffentlich werden nicht nur Christen bluttriefende Selbsttorturen
als pervers empfinden! – Daß das ganze Buch massiv von der Romantik
eines Neo-Germanentums durchdrungen scheint, macht es schwer, eine solche
Schrift ernstzunehmen, insbesondere da, wo faschistoide Ansätze sichtbar
werden.
Als christlicher und kritischer
Theologe ist man geneigt, das Werk kopfschüttelnd beiseite zu legen
und es vergessen zu wollen. Wenn es trotzdem noch einmal hervorgeholt und
sogar hier besprochen wurde, dann eben wegen seiner vielfältigen Gemeinsamkeit
mit einer der wesentlichen Richtungen innerhalb des Meditativen Tanzens.
Natürlich kennt dieses nicht solche Exzesse, das ist keine Frage.
Aber wenn man sich ebenfalls so massiv auf die „archaischen Zeiten" als
Weisheitsquelle beruft, hat man kein Argument mehr gegenüber denjenigen,
die wie der Autor hier – gut archaisch – zu sehr „handfesten" Ergebnissen
kommen. Noch schwerer wiegt die Tatsache, daß die Orientierung an
den Sternen oder an Tarot-Karten, das Reden vom (magischen) Umschreiten
mit seinen „Wirkungen" und von den Hexen, die stetige Rückbesinnung
auf die Göttinnen und auf das angebliche prähistorische Matriarchat
usw. ohne eine rationale Überprüfung in den Tanzritualen zu Schicksalsglauben,
Angst und Unfreiheit führen muß. Die Apartheid gegenüber
den Männer ist bereits eine spürbare Erfahrung. Es kann nur eine
Frage der Zeit sein, wann die ersten Rituale zur Bannung von dunklen Kräften
(Dämonen) auch in Verbindung mit sakralem Tanz auftauchen, und wie
es von dort aus weitergeht, lehrt uns die Geschichte. Das vorliegende Buch
ist ein plastisches Beispiel dafür, wieviel Vitalität und Originalität
vertan und kontraproduktiv verarbeitet werden, nur weil man meint, die
Errungenschaften der Geistesgeschichte mißachten zu können.
Man möchte all denjenigen, die an und mit sakralen Ritualen arbeiten,
sehr wünschen, kritische Nachfragen nicht als eingrenzenden Angriff,
sondern als bange Anteilnahme zu empfinden und zuzulassen.
Gereon Vogler
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