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Helmut Wenz: Körpersprache im Gottesdienst. Theorie und Praxis der Kinesik für Theologie und Kirche, Evangelische Verlagsanstalt Leipzig 1995, 191 Seiten,  29,80 DM.

Vom Titel her durfte man sicher gespannt sein: Ein ganzes Buch, das sich der Körpersprache im Gottesdienst widmet, einer theologischen Reflexion der Kinesik (der Wissenschaft von der Körpersprache)! Bislang waren es meistens Aufsätze und Beiträge, die sich mit dieser weit unterschätzten Komponente der Gottesdienst-
gestaltung auseinandersetzen; solche Ausführlichkeit ließ hoffen. Und in der Tat beginnt dieses Werk von Helmut Wenz, einem erfahrenen evangelischen Gemeindeseelsorger (Jahrgang 1922) auch sehr verheißungsvoll: Der Autor skizziert zunächst den gegenwärtigen Stand der theologischen Arbeit mit Kommunikationswissenschaft und Kinesik und weiß dabei wesentliche Defizite zu benennen, aus denen sich das Ungenügen der aktuellen Forschung erkennen läßt. Wer aber dann die Hoffnung hat, Wenz würde aus der Erkenntnis dieser Mängel eine weiterführende Arbeit vorlegen, der hat – um es gleich zu sagen – vergebens gehofft. Der Autor ist engagiert bei der Sache, greift auf viel Literatur zurück, setzt breit an, macht keine leeren Worte und bemüht um das Konkrete, das hier einen vorbildlichen Gottesdienst meint – was alles sehr anzuerkennen ist! Doch etwas, das überraschen, beeindrucken, Nachdenklichkeit auslösen würde, und vor allem eine neue Durchdringung sucht man vergeblich: Die Arbeit hat primär einen rezeptiven Charakter. Wenz’ Buch wartet nicht mit einer eingehenden Analyse der gottesdienstlichen Körpersprache auf (eine schmerzliche Unterlassung!), auch nicht mit einer systematischen Reflexion der liturgischen Kommunikation und auch nicht mit einer Praxisschulung. Vielmehr bietet es – ohne dies zu beabsichtigen – eine Einführung in die liturgische Körpersprache und Kommunikation an. Wem diese Materie noch neu ist und wer einen Einstieg, auch für die eigene Praxis, sucht, der kann hier einen ersten Überblick und manche Anregung finden. Der Autor hat etliches Material zusammengetragen, das dem bzw. der darin noch nicht Vorgebildeten nützlich sein kann. Und wer aus einer noch immer völlig verknöcherten Gemeindesituation kommt, die spürbar den Hintergrund für Wenz’ Arbeit abgibt und die wohl noch immer existiert, findet hier durchaus viele Alternativmöglichkeiten.
Wenz’ Intention ist nicht nur die Darstellung der liturgischen Körpersprache und Kommunikation, sondern betrifft fast alle sinnliche Wahrnehmungen im Gottesdienst, z.B. auch die liturgische Kleidung, die Gerüche und den Geschmackssinn. Das Ziel des Autors ist eine kommunikationsbezogene „Reform" der Liturgie, die eine größere Ganzheitlichkeit, Intensivierung und bessere Kommunikation des gottesdienstlichen Feierns ermöglicht (146ff). Die Formen, die Wenz vorstellt, wozu auch Tanz, Verkündigungsspiel, intensive Abendmahlsfeiern, Weihrauchspenden usw. gehören, sollen diesem Ziel dienen. – So richtig es ist, die Körpersprache nicht isoliert zu sehen, so bedauerlich ist es, sie hier nicht ausreichend und tiefergehend behandelt zu erfahren (vgl. u.). Die mangelnde Durchdringung des Speziellen fällt zudem auf das Allgemeine zurück: Weil der Autor die Körpersprache im besonderen nicht hinreichend untersucht und reflektiert, bleibt auch seine Betrachtung der gesamten Liturgie ziemlich an der Oberfläche. Sinnvollerweise sollte der Ausgangspunkt aller konkretisie-
renden Erörterungen der Körpersprache eine grundsätzliche, d.h. systematisch-theologische und spirituelle Reflexion der Liturgie sein, um anschließend zu bedenken, welche Konsequenzen deren Ergebnis mit sich bringen müßte. Dagegen reduziert Wenz seinen Ausgangspunkt pragmatisch auf das Gegenüber von „PfarrerInnen und MitarbeiterInnenschaft einerseits und der Gemeinde andererseits" (9), deren gottesdienst-
liche Kommunikation er zu verbessern sucht, vor allem in der Beteiligung der Gemeinde. In der kritischen Auseinandersetzung mit dem verbreiteten falschen Sprachgebrauch von „Gottesdienstbesuchern" nähert sich der Autor zwar einem Liturgieverständnis, das die Gemeinde (als dem Volk Gottes) als Subjekt und Trägerin der Feier und von daher auch die liturgischen Dienste als Sache der Gemeinde versteht – dem grundlegenden Topos katholischer Liturgik in der Reflexion des 2. Vatikanums. Aber so klar ist bei ihm die Position der Gemeinde trotz ziemlichen Bemühens noch nicht, z.B. soll der Gottesdienst „von ihnen (den PfarrerInnen) mit der Gemeinde gefeiert" werden (122). Ähnlich führt Wenz das Stichwort der „mystagogischen Liturgie" an, das er mit „geistlicher Führung" (152) fehlübersetzt und mißversteht. Die theologische Position der Gemeinde mit ihrer daraus resultierenden Verantwortung für die Gottesdienstgestaltung scheint bei Wenz noch nicht zu Ende reflektiert. Mehrfach klassifiziert er sie nur als Signalgeberin gegenüber den Predigenden oder Leitenden des Gottesdienstes, die ihre Befindlichkeit körpersprachlich signalisiert und darin wahrzunehmen ist.
Das Plädoyer, die Reaktion der Gemeinde an ihrer Körpersprache wahrzunehmen, ist nur zu unterstreichen. Aber ich habe Zweifel, ob da alles Signal ist, was Wenz als solches bezeichnet. Etwas verwundert registriert man die Rede von den „Geruchs- und Geschmackssignalen" (Hervorhebung von mir), denn während die Interpretation von Weihrauchverbrennung als „Signal" noch einigermaßen nachzuvollziehen ist, weiß ich nicht, wie man Vergleichbares beim Geschmack schaffen will. Auch ist mir z.B. nicht nachvollziehbar, daß die Haut nach außen Signale senden soll (57).
Zu den „besonderen nonverbalen Signalkomplexen" gilt bei Wenz neben dem Verkündigungsspiel auch der Tanz. Zweifellos stellt es einen erfreulichen Fortschritt dar, daß hier nun endlich einmal auch das liturgische Tanzen ausführlicher behandelt wird, das bei anderen Autoren nur in Aufzählungen auftaucht. Allerdings manifestiert sich in einer solchen Kategorisierung leider nur erneut (in der Tradition von A. R. Sequeira) der Irrtum, Tanz sei stets etwas Signalisierendes und Signifizierendes. Wenz ist die intrinsischen Seite des Tanzes fremd, sein löbliches Plädoyer für den Tanz im Gottesdienst läßt keinen Zweifel daran, daß dies lediglich auf einem Literaturstudium basiert. Bedauerlicherweise endet dieses jedoch in den achtziger Jahren, die Entwicklung der Praxis, die Veröffentlichungen, die Tagungen usw. der letzten Jahre hat Wenz nicht mehr wahrgenommen, die aktuell diskutierten Schwierigkeiten wie z.B. die Frage nach der Integrierbarkeit des Meditativen Tanzens kennt er nicht.
Leider nur in einer Anmerkung, aber wenigstens dort nimmt Wenz Sequeiras stete Forderung nach einer einheitlichen Tanz- und Gebärdensprache für die Liturgie auf und setzt pointiert dagegen: „Wie lange sollen die Gemeinden noch warten, bis eine einheitliche ‘Tanz- und Gebärdensprache’ geschaffen sein wird?" (106) Schade, daß das schon alles ist! Eine gründliche Auseinandersetzung mit Sequeiras reduziertem Symbolver-
ständnis, die ich seit dem Widerspruch von Teresa Berger von 1985 als überfällig ansehe, findet auch hier nicht statt. Aber wie soll das auch gehen, denn Wenz pflegt ja selbst die dauernde Rede vom „Signal", also vom Bezeichnenden und Zeigenden, für jedwede Äußerung im Gottesdienst! Anscheinend kommen die Vertreter der liturgischen Kinesik und Semiotik nicht aus bestimmten Denkkategorien heraus, auch nicht aus den alten Technizismen. So werden bei Wenz „nonverbale Signale von den SignalgeberInnen ... gesendet" (19). Ich frage konkret: Welches „Signal" „sendet" ein Gemeindemitglied, das während der Predigt gähnt? Der Hintergrund eines solchen Verhaltens kann die Müdigkeit nach einer sehr kurzen Nacht sein oder der Sauerstoffmangel in einer unzureichend gelüfteten Kirche, natürlich auch, daß sich jemand langweilt. Wie soll die bzw. der Predigende dieses angebliche „Signal" nun deuten, muß sie bzw. er das, was ganz und gar nicht immer Botschaft, sondern oft genug persönliches Problem ist, stets auf sich beziehen? Hier wäre doch ein viel zurückhaltenderer Sprachgebrauch von „Signalen" und vom „Senden" ratsam und eine stärkere Differen-
zierung des kommunikativen und auch non-kommunikativen Verhaltens im Gottesdienst zu empfehlen. Gerade im Gottesdienst sind die Teilnehmenden nicht zu übersehen, die eben nicht „senden" und kommunizieren, sondern einfach nur bei sich sein wollen.
Während es das vorliegende Buch in solchen wesentlichen Fragen an Differenzierung und Perspektiven fehlen läßt, sind andere, sekundäre Aspekte unnötig entfaltet. Beispielsweise Wenz’ ausgedehnte Ratschläge, in der homiletischen und liturgischen Ausbildung mit Video zu arbeiten, werden mancherorts bereits seit 15 Jahren praktiziert. Und daß z.B. in der Möblierung der Kirchen eine Einzelbestuhlung starren Bänken vorzuziehen sei, ist heute wohl nicht mehr der Rede wert. – Jedoch ist Wenz’ kritische Durchsicht der Erneuerten Agende und des Evangelische Gesangbuches im Blick auf den Einsatz von Körpersprache eine wirklich löbliche Arbeit. Sie bietet manche Perspektive und Anregung, die einer Agende, welche Antwort auf die Erfordernisse heutigen liturgischen Gestaltens geben will, noch immer ermangelt. Möge man hier den Autor hören!
 

Gereon Vogler
 
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