Maria-Gabriele Wosien,
Tanz – Symbole in Bewegung, Veritas Verlag, Linz 1994, 127 Seiten, incl.
CD, DM 78,00.
In den letzten Jahren lassen sich
selbst in einer so jungen Disziplin wie der des Meditativen Tanzens bestimmte
Entwicklungen ausmachen. So läßt sich z. B. in nicht wenigen
Kreisen eine zunehmende Einbeziehung des Naturreligiösen und des „Archetypischen"
feststellen. Wenn vier Jahre nach ihrem letzten Buch Maria-Gabrie-
le Wosien, die ich für die
prominenteste Vertreterin des Meditativen Tanzens halte, eine weitere Veröffent-
lichung vorlegt, darf man also gespannt
sein, welche Entwicklungen hier sichtbar werden.
Nun, Maria-Gabriele Wosien bleibt
deutlich ihrer bisherigen Linie treu. „Tanz – Symbole in Bewegung" zeichnet
sich dadurch aus, dem Tanz im Kontext der Religionen nachzugehen und ihn
mythologisch zu verstehen. Damit bietet die bekannte Tanzpädagogin
eine ganz eigene Spielart unter den inzwischen so vielen, die sich im Meditativen
Tanzen gestalterisch versuchen. In der Tat wird ihr das, was sie in ihrem
neuen Buch vorlegt, so leicht keine nachtun. Die Autorin lädt nämlich
ein zu einer Weltreise des Tanzes durch die Religionen. Deren Stationen
sind fast atemberaubend und verdienen, einmal aufgezählt zu werden
(in Klammern sind die Religionen angefügt): 1. „Das Radbild des hl.
Niklaus von Flüe" zu der Antiphon „De Confessoribus" von Hildegard
von Bingen (mittelalterliches Christentum); 2. „Spirale und Mäander"
zu einer schottischen Ecossaise (Keltentum); 3. „Kreuz-Tanz" zu „Hassapicos"
bzw. „Sirtaki" (Griechisch-orthodoxes Christentum); 4. „Gott und Mensch
- getanzter Dialog" zum indischen Gesang „Om Shanti" (Hinduismus); 5. „Die
Göttin als Spinnerin" zum türkischen Volkstanz „Kezban Jenge"
(Islam); 6. „Die göttliche Jungfrau" zum argentinischen Tanzlied „Dime
Maria" (Christentum); 7. „Die dunkle Göttin - Tanz der Kali" zu einem
indischen Gesang (Hinduismus); 8. „Die dreifaltige Göttin - Prozessionsreigen
der drei Frauen am Grabe" zu einem griechischen Karfreitagshymnus (Griechisch-orthodoxes
Christentum); 9. Hymnos an Apollon nach musikalischen Bearbeitungen von
1581 u. 1978 (Hellenismus) 10. „Garba-Tanz" zu einem indischen Tanzlied
(Hinduismus); 11. „Langsame Drehmeditation" zu Mevlevi-Musik (Islam). 12.
„Alleluia-Tanz" zum einem gregorianischen Hymnus (Christentum); 13. „Die
Gebets-weisen des hl. Dominikus" zu einem gregorianischen „Te Deum" (Christentum);
14. „Kyrie eleison" zu einem altkirchlichen Kyrie-Kanon (Christentum).
15. „Et incarnatus est" zu Bach, h-Moll-Messe (Christentum). 16. „Jubilate"
zu einem Kanon von Praetorius (Christentum).
Das Verbindende in all diesen Religionen
und Kulturen ist bei Maria-Gabriele Wosien der „Sakraltanz", wie sie ihre
Sache jetzt nennt. Allerdings stellt sie überwiegend nicht original
religiöse Tänze dieser Kulturen vor. Vielmehr ver-wendet sie
Material der Religionen – sei es Musik, seien es Gesänge, Bewegungsabfolgen,
Symbole, Bilder usw. –, das sie eigenständig gestaltet. Die Musik
wird in unterschiedlicher Qualität mitgeliefert – erstmalig bei einem
solchen Buch als CD (eingeklebt, leider ohne Hardcover). Das ist im Vergleich
zu den bisher üblichen Kassetten ein gewaltiger Sprung nach vorne.
Denn künftig wird man nicht mehr zig-mal überspielten, furchtbar
rauschenden Kopien begegnen. Allerdings macht u.a. dieser Service (der
erst recht zum Kopieren anregt) das Buch auch so teuer. Recht aufwendig
sind auch die 16 Farbtafeln, die der Illustration des Textes dienen sollen;
schade ist nur, daß man dazu stets blättern muß.
Eine unendliche Mühe haben
sich Autorin und Verlag mit den Grafiken der Tanzbeschreibungen gemacht.
Theo Hüllenbrandt hat ganz großartig ebenso einfache wie eindeutige
Kleingrafiken geschaffen, die sowohl die choreographischen Angaben als
auch die Raumsymbole für jeden Laien leicht verständlich machen.
Eine solche hervorragende Verständnishilfe, die Maßstäbe
setzt, ermöglicht dann auch die Vermittlung der teilweise recht komplizierten
Tänze. Das ist zweifellos Maria-Gabriele Wosiens Charisma, Tänze
zu schaffen, die mehr Vielfalt und Ideenreichtum bieten als die sonst zuweilen
eintönigen und farblosen im Feld des Meditativen Tanzens; vor allem
sind sie nicht so statisch. Hier in der Praxis liegen eindeutig die Stärken
der Autorin und infolgedessen auch die des Buches.
Den Tanzbeschreibungen gehen mehrfach
nicht so umfängliche Kapitel voraus, die den „Hintergrund der behandelten
Themen ausführlich erläutern wollen" (7). Es war bislang und
ist auch hier nicht Maria-Gabriele Wosiens Sache, Zusammenhänge und
Darstellungen kognitiv klären zu wollen. Die Autorin kommt sehr stark
vom Schauen und von Bildern her und betreibt von daher eine Zusammenschau,
die über alle Grenzen von Zeiten, Religionen, Kulturen, Philosophien
und Psychologien hinweggeht, was sie mit der Zeitlosigkeit und Universalität
von Mythen und „Archetypen" begründet. Damit fühlt sie sich frei
und berechtigt genug, um ihren Streifzug (in des Wortes wahrster Bedeutung)
durch die Religionen ohne Zaudern und Unsicherheit zu tun.
Nun darf man hier einmal anfragen,
ob sich die Religionen eigentlich zu einer Art globaler Selbstbedienungsauslage
eignen, aus der man sich das heraussucht, was einen besonders anspricht
und fasziniert. Denn wir haben hier es ja nicht mit Folklore zu tun, sondern
mit dem, was vielen Menschen heilig ist.
Schwerer wiegt aber noch die Frage,
ob denn eine solche rasche Gesamtschau, die die Autorin betreibt, auch
den Einzeldingen gerecht wird. Abgesehen davon, daß einige ihrer
Prämissen schwer zu halten sind (z.B. die Zeitlosigkeit von Mythen),
rutscht sie dann z.B. bereits beim Betreten der Lauffläche der christlichen
Theologie recht schmerzhaft aus. Man kann der Autorin nur wünschen,
daß ihr die Theologen des Hinduismus oder des Islams nicht Ähnliches
bescheinigen.
Beispielsweise verlegt sie die Aufnahme
Mariens in den Himmel (von der Dogmatisierung ist hier nicht die Rede)
in die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts und deklariert sie erfreut
als „Aufnahme der Stofflichkeit als das korrumpierende Prinzip der Welt
in den metaphysischen Bereich." (106) Sie realisiert damit weder, daß
zuerst von der Inkarnation und der Auferstehung Jesu und dann von Maria
zu sprechen wäre, noch daß Leiblichkeit etwas anderes ist als
Stofflichkeit. – Im selben Absatz erklärt sie Jahwe und Satan als
in ihrem Ursprung eins, was für ihr Gottesbild bezeichnend ist. Bei
Leserinnen und Lesern, die ihr nicht nur folgen, sondern auch selbst begreifen
wollen, kann leicht ein gewisser Unwille darüber entstehen, daß
bei ihr Gott einmal der Schöpfergott (9 u.ö.) sein soll, gleichzeitig
aber auch gilt: „Damit (sc. durch den tanzend Betenden) wird auch der unlebendige
Gott aus seiner erstarrten Schöpfung erlöst, und die Vergötterung
der Welt kann neu beginnen." (6, 9 u.ö; 106: „Dem exkarnierten, unfruchtbaren
Gott wird die Rückkehr aus der Isolation dadurch ermöglicht,
daß der Mensch selbst wieder zu seiner Lebensmitte findet.") In ähnlicher
Weise wechselt die „Ruach Gottes" als „`dreifaltiges´ weibliches
Symbol" (50) mit den drei Frauen am Grab des Auferstan-
denen, mit den Personifizierungen
der Liebe, der Demut und des Friedens in einer Vision der hl. Hildegard
von Bingen und schließlich (als „Echo des Mythos", 50) mit der Hl.
Ampet, der Hl. Gewer und der Hl. Bruen.
Erstmals äußert sich
Maria-Gabriele Wosien zu den christlichen Kirchen, deren kulturelle sowie
geistliche Schätze sie doch reichlich nützt. Ihr Blick in die
Kirchengeschichte stellt eine Aneinanderreihung von herausgegriffenen Beispielen
für den bekanntlich nicht gelungenen Umgang mit dem Tanz dar, wobei
sie einmal mehr auf den Hymnus Christi aus den apokryphen Johannesakten
abhebt. Man darf ein wenig über ihre Bemerkungen schmunzeln, etwa
über den „modernen Kirchgänger, der seinem Nachbarn verklemmt
die Hand zum Friedensgruß reicht" (94) oder über „den Priester,
der zu einem Statisten und bloßen Erfüllungsgehilfen im bewegten
Drama des göttlichen Offenbarungsgeschehen geworden ist" (105). Denn
es dürfte bereits deutlich geworden sein, wie weit sie von der ihrer
Meinung nach „zum großen Teil moribunden Institution der Kirche"
(105) entfernt ist und darum wenig Differenziertes dazu beizutragen hat.
Zweifellos wendet sich das Buch
an religiöse Menschen, an ihre meditative Praxis. Somit ist es ein
spirituelles Anleitungsbuch. Aber was ist das für eine Spiritualität
(= Praxis)? Wer kann geistlich Maria-Gabriele Wosien im Auswahlprinzip
durch die Religionen folgen, wer kann christliche Gebetsweisen so problemlos
neben islamischen, hellenistischen, keltischen und hinduistischen praktizieren?
Wie tief geht eine solche Spiritualität, bei der Gott als die Göttin,
als der Erstarrte und durch den Tanz noch zu Erlösende, als die Verkörperung
des Mythos usw. das Gegenüber darstellt? Welche Antwort gibt ein solcher
Ansatz auf die großen Fragen der menschlichen Existenz, wie die Überwindung
von Schuld und Tod und die Fragen nach Sinn und Hoffnung? Solche Fragen
sind zu schwer, gehen zu tief ange-sichts dieser tänzerischen Reise
durch die Religionen. – Maria-Gabriele Wosien beendet ihr Buch mit einem
Pauluszitat aus dem 1. Korintherbrief, in dem sie sich –- wieder einmal!
– etwas herausnimmt und die Frage der Auferstehung, um die es hier eigentlich
geht, in eine allgemeinere Formulierung verflacht: „Siehe, ich sage euch
ein Geheimnis ... wir werden alle verwandelt werden ..., denn das Verwesliche
muß anziehen die Unverweslichkeit und das Sterbliche muß anziehen
die Unsterblichkeit (1 Kor 15, 51ff)." (106) – Angesichts eines so geringen
Respektes gegenüber zentralen christlichen Aussagen wird offensichtlich,
daß es sich hier um ein Mißverstehen der christlichen Botschaft
handelt, denn die lädt nicht zur Auswahl ein, sondern zur existentiellen
Entscheidung: ganz oder gar nicht.
Gereon Vogler
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