Biografie


Teil 2
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Was zwischen der ersten und den letzten Begegnungen alles geschah

Bei unserer ersten Begegnung hatte Tony gesagt: "... jetzt kann ich doch ein Priester bei den Jesuiten werden!" Schon seit seiner frühen Kindheit hatte Tony den goldenen Traum, Ordenspriester zu werden bei den Jesuiten. In dem entsprechenden Jahr, das war 1944, wurde sein Traum in unserer Familie gar nicht gut aufgenommen. Es war eine Zeit, die mehr von wirtschaftlichen Realitäten als von goldenen Träumen bestimmt wurde. Der Zweite Weltkrieg tobte. Nahrungsmittel waren rationiert. Wohnungen waren knapp. Indien, als Teil des britischen Empires, kämpfte an der Seite der Alliierten an vielen Fronten. Die Japaner hatten die Ostgrenze Indiens überrannt und dort einen Brückenkopf gebildet. Die Stimmung im Land war geprägt von Unsicherheit und Ungewissheit über die Zukunft. Für meine Eltern, damals in ihren mittleren Jahren, war Tony als Sohn die einzige Sicherheit, dass sich jemand im Alter um sie kümmern würde. Mein Vater arbeitete damals für die indische Eisenbahn, und wenn sein ältester Sohn nach dem Schulabschluss nicht auf eine Universität gehen sollte, dann könnte als Alternative eine Lehre bei der Bahn arrangiert werden, die zu einer sichern Stellung führen würde. Dies war der Plan meiner Familie für Tonys Zukunft in wirtschaftlicher Hinsicht.


Familiendaten

Tony wurde am 4. September 1931 in Santa Cruz geboren, einem Vorort von Bombay, Indien. Unsere Eltern, Frank und Louisa (geb. Castelino) kamen ursprünglich aus Goa, einer portugiesischen Kolonie an der Südwestküste Indiens. Sie gehörten zu einer langen Reihe von Vorfahren, katholischer Familien, die ihre Genealogie über 400 Jahre verfolgen konnten und die für ihren religiösen Eifer bekannt waren.


Ein missionarischer Erfolg

Franz Xaver (Francis Xavier) dieser Feuerkopf von einem Jesuiten, kam im Jahre 1542 nach Goa und hatte großen Anteil an der Verbreitung des Christentums. Dieser Prozess hatte jedoch schon früher begonnen. Schon bald, nachdem portugiesisches Militär im Jahre 1510 dem örtlichen Rajah Goa abgenommen hatten, waren auch die ersten portugiesischen Priester und Mönche dort angekommen. Ihr missionarischer Eifer zeigte sich sowohl in Form von Überzeugungsarbeit als auch in Verfolgungen (einigen Historikern zufolge). Sie verbanden die weiche Seite der Überzeugung durch Argumente und Debatten mit der harten Seite der Konversion durch Feuer und Schwert. Es ist nicht überliefert, welche dieser Methoden zur Konversion meiner Vorfahren zum christlichen Glauben mehr beitrugen, sicher ist, dass sie die Vorstellungen von Höllenfurcht und Himmelserwartung tief in den Geist ihrer Nachkommen einzupflanzen verstanden. Fraglos blieben unsere Eltern ihr ganzes Leben lang der Kirche gläubig treu und all ihren Lehren verbunden.

Ein Familienfoto vom Juni 1947, aufgenommen wenige Tage bevor Tony nach Vinalayala aufbrach, um sein Noviziat bei den Jesuiten zu beginnen: Frank (Vater), Marina, Tony, Grace, Bill und Louisa (unsere Mutter).
© Copyright Bill de Mello


Ortswechsel

Arbeitsplätze waren sehr knapp im portugiesischen Goa. Dies hatte zur Folge, dass viele junge Menschen aus Goa ins nahe Bombay abwanderten, das zu Britisch Indien gehörte. Da bekannt war, dass sie arbeitsam, gut ausgebildet, christlichen Glaubens und der englischen Sprache mächtig seien, wurden Menschen aus Goa von den herrschenden Engländern bei der Stellenvergabe bevorzugt, speziell in den Bereichen Bahn, Post und Telegrafie. Mein Vater fand eine Stellung bei der indischen Bahn. Meine Mutter blieb Hausfrau und gab ihren Kindern auch die frühe, häusliche religiöse Prägung und Unterweisung.



Ausbildung und Berufung

Tonys Schulbildung fand in einer von Jesuiten geleiteten Schule statt, der St. Stanislaus High School in der Gemeinde von St. Peters in Bandra, einem nördlichen Vorort von Bombay. Seine akademischen Leistungen waren ausgezeichnet, und es zeigte sich ein besonderes Talent auf dem Gebiet der "human relations", also im Umgang mit Menschen. Beliebt sowohl bei Lehrern als auch bei Mitschülern wurde Tony zum Idol der Schule. Unsere Eltern erwarteten, dass er die Universität besuchen würde, um - in welchem Fach auch immer - einen hervorragenden Abschluss zu machen und beruflich großen Erfolg zu haben. Die Erwartung einer brillanten Zukunft für Tony war in ihren Köpfen so festgeschrieben, dass sie seine vielen Hinweise, lieber Priester werden zu wollen, kaum wahrnahmen. Sie hielten seine Pläne für eine typische Jungenschwärmerei, hervorgerufen von den Jesuiten, diesen großen Motivatoren, die die St. Stanislaus-Schule leiteten.
Auch wussten meine Eltern, dass Tony durchaus eine romantische Seite hatte. Als er noch ziemlich jung war, sagte er einer Kusine, dass er sie eines Tages heiraten und für ihr Brautkleid alle Sterne des Himmels herunterholen würde. Jahre nachdem er Ordensmitglied bei den Jesuiten geworden und sie längst verheiratet war und Kinder hatte, machte sie sich immer noch einen Spaß daraus, ihn an sein Versprechen zu erinnern.

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