Tony
und die Gesellschaft Jesu
Einige Menschen sind geborene Sportler. Tony war ein natürlicher
Seelsorger und Priester.
Die "Societas Jesu", die Gesellschaft Jesu, war seine
Heimat. Er war die Hand - und die SJ war der perfekt passende
Handschuh dazu. Was Tony an den Jesuiten meiner Meinung nach
am meisten anzog, war die dort herrschende Disziplin. Aus der
Ordnung, die die Disziplin mit sich brachte, schöpfte Tony
Stärke. Die disziplinarische Regel der Jesuiten, wonach
ein Ordensmitglied dorthin geht, wohin er geschickt wird, das
jesuitische Prinzip, nach dem alle Besitztümer mit anderen
geteilt werden, und der Grundsatz, dass Gleichheit für
alle Menschen gilt, zogen ihn an. Er blühte bei solch rigiden
Einstellungen richtig auf. In einem Dogma fand er Grund zur
Freude und in einer Doktrin eine Quelle der Stärke.
1952 wurde Tony nach Spanien geschickt, um dort drei Jahre lang
Philosophie zu studieren.
In dieser Zeit vollzog sich bei ihm eine spirituelle Evolution.
Er erlangte ein Charisma, das ihn zu einem Menschenführer
machte. Eine Gruppe spanischer Jesuiten, die ihm nach Indien
folgte, wunderte sich darüber, dass ein Inder Spanisch
wie seine Muttersprache sprechen konnte. Denn auch nach jahrelangem
Aufenthalt in Indien sprachen die spanischen Patres meist noch
immer Englisch mit spanischem Akzent. Tony war ein begnadetes
Sprachgenie. Er sprach fließend Marathi, Hindi (die beiden
großen Sprachen Indiens) und natürlich Englisch.
Der sanfte Tony
Der liberale Tony de Mello, den die Welt kennt, war eine Transformation
von dem rigiden Tony, der damals Jesuit wurde.
Den ersten Hauch dieser Veränderung spürte ich, als
ich während meiner Schulzeit gerade mal wieder große
Schwierigkeiten hatte. Meine Hauptbeschäftigung auf der
Schule war das Umgehen der Schulregeln. Wenn es normalerweise
schon einhundert Mittel und Wege gab, um ernsthaftes Lernen
zu umgehen, dann kannte ich einhundertzehn. Ich entwickelte
das Schuleschwänzen zu einer Kunstform. Meine Kapriolen
gingen munter weiter, auch nachdem ich einige ernste Warnungen
von meinem Lehrern und verschiedentlich sogar schriftliche Mahnungen
vom Schuldirektor erhalten hatte. Jede dieser Verwarnung war
von gewissen Konsequenzen begleitet, die der jeweiligen Schwere
der Verfehlung entsprachen, und so heimste ich mir entweder
Hausarrest oder eine Suspendierung meines wöchentlichen
Taschengeldes ein. Jedoch auch diese Strafen hatten auf mich
keinen bleibenden Effekt. Das dicke Ende: Am Schluss des Schuljahres
stand fett auf meinem Zeugnis, dass ich die Klasse zu wiederholen
hatte.
1955
am Tag der Silbernen Hochzeit meiner Eltern.
Stehend:
Grace, Tony und Marina, sitzend: Frank
(unser
Vater), Bill und Louisa (unsere Mutter).
©
Copyright Bill de Mello
|
|
Das
war für meine Eltern, die langsam alt wurden, der Tropfen,
der das Fass zum Überlaufen brachte. Das war also der Sohn,
der sich im Alter um sie kümmern und für sie sorgen
sollte. Sie konnten einfach nicht begreifen, wie der eine Sohn
zu einem funkelnden Edelstein - und der andere zu einem Ärgernis
werden konnte. Nach einer hitzigen Konfrontation zwischen uns
fassten meine Eltern den Entschluss, mich Tony vorzuführen
und ihn entscheiden zu lassen, wie es mit mir weitergehen sollte.
Mein Kontakt zu Tony war sehr reduziert, seit er nach Spanien
gereist war. In meiner Erinnerung war er noch immer der Mann
der strikten Disziplin. Ich sah der Zusammenkunft mit ihm also
mit gewissen Ängsten entgegen.
Tony war zu der Zeit am de Nobili College in Poona, ungefähr
180 km von Bombay entfernt, wo er von 1958 bis 1962 Theologie
studierte. Jede Minute im Zug, der mich zu Tony brachte, war
ein kleiner Vorgeschmack auf die Hölle, die ich erwartete.
Ich sollte den Oberteufel um 12.00 Uhr mittags treffen, und
die Minuten bis dahin vergingen schnell.
Im College empfing uns Tony im Besuchszimmer. Dort beteten meine
Eltern die ganze unappetitliche Geschichte herunter, präsentierten
mein Zeugnis und die zahlreichen schriftlichen Klagen, Verwarnungen
und Ermahnungen meiner Lehrer. Tony hörte dem Ganzen mit
ernstem Gesicht zu, ernster noch als Papst Pius XII, dessen
Bild dort an der Wand hing. In meiner Erwartung köchelte
Tony Feuer und Schwefel und lud die Blitze auf, die er unausweichlich
auf mich schleudern würde. Ich sah schon: Auf den Knien
würde ich um Vergebung winseln müssen.
Als meine Eltern endlich ihre Schauergeschichten beendet hatten,
sagte Tony einfach: "Komm mal mit, Bill, lass uns mal einen
kleinen Spaziergang machen!"
Die Augen gesenkt, mit hängenden Schultern und Gummiknien
folgte ich Tony in den Garten. Ich wusste zwar, dass er mich
nicht schlagen würde, aber ich erwartete, dass seine Worte
mich noch mehr verletzen würden als eine Tracht Prügel.
Wir setzten uns auf eine Bank und Tony fragte ganz einfach,
was denn wohl mein Problem sei.
Ich suchte zunächst Zuflucht in einer vordergründigen
Entschuldigung und sagte, dass ich es schwierig fände,
in einem Haus vernünftig lernen zu können, in dem
zwei erwachsene Schwestern, die beide dort arbeiteten, mich
ständig ablenkten. Immer dann, wenn ich gerade etwas für
die Schule tun wollte, würden sie dort ihre Freunde empfangen.
Vorsichtig umschiffte ich das Thema meines Schuleschwänzens
- und er kam auch nicht darauf zu sprechen. Schließlich
meinte ich, dass es wohl das Beste sei, wenn man mich auf ein
Internat schicken würde.
Vom heiligen Terror zum sanften Helden
Tony hörte mir aufmerksam zu, und was er dann als nächstes
sagte, überraschte mich völlig. Statt der Strafpredigt,
die ich zu Recht erwartete, legte Tony seinen Arm um mich und
sagte, dass er verstehen könnte, was ich gerade durchmachte,
dass mein Leben für mich in einer schwierigen Phase sei.
Er zeigte sich tief besorgt, dass ich so wenig verstand und
kein Interesse an dem zeigte, was doch so wichtig sei, wenn
ich mein Leben meistern wolle. Der Ton seiner Stimme und die
Art und Weise, wie er mit dieser Situation umging, bewegten
mich tief.
Vor Erleichterung kamen mir die Tränen, und auch aus plötzlicher
Liebe zu diesem Menschen, der so viel Verständnis für
mich aufbrachte. An diesem Tage wurde er zu meinem Helden.
Ganz nebenbei: Nach dieser Aussprache zogen auf einmal meine
schulischen Leistungen mit denen auf sportlichem Gebiet gleich.
|