Epilog
Während die Jahre vergingen, wurde die Beziehung zwischen
Tony und mir enger und herzlicher. Der Gläubige und der
Zweifler fanden sich in einer etwas merkwürdigen Kombination
zusammen, aber Tony ist es zu danken, dass es funktionierte.
Die Gnade Gottes (oder die Gnade von wem oder was auch immer)
führten ihn. Ausgehend von unserer Blutsbrüderschaft
wurden wir auch langsam Brüder im Geiste.
Der indische Dichter Rabindranath Tagore schrieb einmal:
Gott möchte, dass man seinen Tempel aus Bausteinen der
Liebe errichtet,
aber die Menschen schleppen Steine herbei!
Ich denke, dass Tony verstanden hatte, dass auch Glaube und
Dogmen nichts als Steine sind,
wenn nicht die Liebe das ausschlaggebende im Verhältnis
der Menschen zueinander ist.
Bis zu seinem Ende war Tony der Kirche und seiner geliebten
Gesellschaft Jesu gegenüber loyal. Er hatte eine Inspiration
geschenkt bekommen, um die katholische Kirche wirklich zu der
katholischen, der gemeinsamen Kirche zu machen - alles umfassend
- alle Menschen, Christen und Nichtchristen und auch Zweifler
wie mich. Tony brachte mich zu der Erkenntnis, dass es in Gottes
großem Reich auch ein Plätzchen gibt, wo am Tor das
Schild: "Für die Agnostiker" hängt, und
wo auch ich willkommen bin und Liebe finde. Und es gibt diese
Orte und Plätze für alle Menschen, gleich welchen
Glaubens und welcher Überzeugung, ein Ort, wo jeder hingehört
und geliebt ist. Nie war Tony glücklicher, als wenn er
sich mit Christen und Hindus, mit Buddhisten und Moslems, mit
Agnostikern und Atheisten umgeben konnte. Ja, Tony war wirklich
jedermanns Bruder - und meiner ganz besonders.
Postscriptum
Tonys Leichnam wurde nach Hause geflogen und im Eingangsbereich
seiner alten Pfarrkirche Sankt Peter in Bandra, Bombay, begraben.
Zu meinem großen Missfallen wurde die Gedenktafel an seinem
Grab wieder entfernt. Traurig! Aber Tony würde das nicht
im geringsten stören. Er hat seine sterblichen Überreste
längst hinter sich gelassen und sich fortentwickelt, um
den spirituellen Status einzunehmen, zu dem er bestimmt war.
An uns Menschen erinnert man sich auf Grund unserer Taten, der
guten und der schlechten. In William Shakespeares Schauspiel
Julius Cäsar sagte Markus Antonius bei Cäsars Begräbnis:
Das Böse, das Menschen tun,
das lebt weiter, auch wenn die Menschen selbst schon gestorben
sind.
Das Gute aber, das wird oft zusammen mit ihren Knochen begraben.
Mark Anton müsste wohl anmerken, dass mein Bruder eine
Ausnahme sei, denn was nach seiner Beerdigung fortlebt, das
sind seine wunderbaren Werke, seine Großzügigkeit,
seine umfassendes Mitleid, sein Humor und, dies vor allem anderen,
seine Liebe zu anderen.
Danksagung
Den vielen Menschen, die den Lehren meines Bruders folgen, schulde
ich Dank. Ihr Interesse an seinem Leben hat dazu geführt,
dass ich diese kurze Biografie geschrieben habe. Ich hoffe,
dass diese kurzen Schlaglichter auf sein Leben ihnen allen dabei
hilft, Tony noch etwas besser zu verstehen.
Mein aufrichtiger Dank auch an Daphne und Dom Gonzalvez, die
so viel ihrer kostbaren Zeit aufgewandt haben, um mir dabei
zu helfen, dieser Biografie den letzten Schliff zu geben.
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© Copyright Bill de
Mello |
Dieses
Bild von Tony machte ich während unseres Sonnenuntergang-Spaziergangs.
Er trug ein ausgefranstes Hemd, ausgebeulte Hosen und
billige Schuhe.
Tony trug nie überflüssiges Gepäck mit
sich herum, weder physisch noch psychisch. Für seine
Lebenseinstellung war passende Kleidung "Übergepäck",
und er |
pflegte das
anzuziehen, was ihm gerade in die Hände fiel. Frei und
unbeschwert eben.
Tony verhielt sich in Bezug auf geistige und spirituelle Aspekte
genauso: Kein Übergewicht. Reise mit leichtem Gepäck.
Sei direkt. Kommuniziere.
Leserfragen
Viele Leser dieser Website haben per e-mail angefragt, was Tony
in seinem Leben inspirierte.
Eine dieser Quellen war sicherlich Gottes stilles Wirken in
der von Ihm geschaffenen Natur.
Der Rundgang um den Lonavla See war Tonys Favorit. Hier war
seine Quelle der Erholung, wo Gott ihn immer wieder an "...frisches,
lebendiges Wasser" (Ps. 23) führte.
In seinen Büchern spricht Tony oft davon, Gott in der Stille
zu finden. Auf Tony traf das zu, er fand Gott dort in der Stille
und im Schweigen.
Tony erwähnt diesen besonderen Ort am Seeufer in seinem
Buch Awareness (dt: Der springende Punkt)
.
Der
letzte Sonnenuntergang
Tony lachte. Er war im Frieden mit der Welt - ich dagegen
in heftigem Unfrieden - mit meiner Kamera. Gemütlich
lehnte er sich zurück, den Sonnenuntergang genießend,
während ich mit Fokus und Blende kämpfte.
"Bill, Bill schau hin, Gott malt gerade ein Meisterwerk!"
schalt er mich, während ich durch
den
Sucher blinzelte. Wenn
ich nur gewusst hätte, dass dies der letzte gemeinsame
Sonnenuntergang sein würde, den wir zusammen erlebten
- vielleicht hätte ich die Kamera zur Seite gelegt
und mit ihm schweigend dem Großen Künstler
zugeschaut, der dort am Himmel am Werk war.
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© Copyright Bill de Mello |
Der Zeitpunkt
war im August 1986, ungefähr ein Jahr vor Tonys Tod. Meine
Schwester Grace und ich besuchten Tony ein Wochenende lang in
seinem Sadhana Institut in Lonavla, Indien.
Es war eine bittersüße Zeit für mich. Süß,
weil ich eine kurze Zeit voller Lebensqualität mit Tony
zusammen sein konnte und bitter, weil unser Vater kurz zuvor
gestorben war und ich damit beschäftigt war, seinen Nachlass
zu ordnen.
Der See befindet sich gleich hinter dem Sadhana Institut, einen
gemütliche und schönen Fußweg von einer halben
Stunde Dauer durch naturbelassenes Buschland hindurch. Wir drei
waren den Weg zum See zusammen gegangen, in fröhliches
Gespräch vertieft, so wie es unter Geschwistern eben üblich
ist. Ich war von Australien, wo ich jetzt lebe, herübergeflogen
und schwenkte jetzt in bester Touristenart meine High-Tech-Kamera.
Als ich merkte, dass dieser Sonnenuntergang ein ganz besonderer
zu werden versprach, vergaß ich Tony und Grace und beschäftigte
mich nur noch mit Blendweiten und Filmgeschwindigkeiten. Es
war dieses frenetische Gefummele, über das sich Tony so
amüsierte.
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