Biografie


Teil 6
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Epilog

Während die Jahre vergingen, wurde die Beziehung zwischen Tony und mir enger und herzlicher. Der Gläubige und der Zweifler fanden sich in einer etwas merkwürdigen Kombination zusammen, aber Tony ist es zu danken, dass es funktionierte. Die Gnade Gottes (oder die Gnade von wem oder was auch immer) führten ihn. Ausgehend von unserer Blutsbrüderschaft wurden wir auch langsam Brüder im Geiste.

Der indische Dichter Rabindranath Tagore schrieb einmal:

Gott möchte, dass man seinen Tempel aus Bausteinen der Liebe errichtet,
aber die Menschen schleppen Steine herbei!


Ich denke, dass Tony verstanden hatte, dass auch Glaube und Dogmen nichts als Steine sind,
wenn nicht die Liebe das ausschlaggebende im Verhältnis der Menschen zueinander ist.

Bis zu seinem Ende war Tony der Kirche und seiner geliebten Gesellschaft Jesu gegenüber loyal. Er hatte eine Inspiration geschenkt bekommen, um die katholische Kirche wirklich zu der katholischen, der gemeinsamen Kirche zu machen - alles umfassend - alle Menschen, Christen und Nichtchristen und auch Zweifler wie mich. Tony brachte mich zu der Erkenntnis, dass es in Gottes großem Reich auch ein Plätzchen gibt, wo am Tor das Schild: "Für die Agnostiker" hängt, und wo auch ich willkommen bin und Liebe finde. Und es gibt diese Orte und Plätze für alle Menschen, gleich welchen Glaubens und welcher Überzeugung, ein Ort, wo jeder hingehört und geliebt ist. Nie war Tony glücklicher, als wenn er sich mit Christen und Hindus, mit Buddhisten und Moslems, mit Agnostikern und Atheisten umgeben konnte. Ja, Tony war wirklich jedermanns Bruder - und meiner ganz besonders.


Postscriptum

Tonys Leichnam wurde nach Hause geflogen und im Eingangsbereich seiner alten Pfarrkirche Sankt Peter in Bandra, Bombay, begraben. Zu meinem großen Missfallen wurde die Gedenktafel an seinem Grab wieder entfernt. Traurig! Aber Tony würde das nicht im geringsten stören. Er hat seine sterblichen Überreste längst hinter sich gelassen und sich fortentwickelt, um den spirituellen Status einzunehmen, zu dem er bestimmt war.

An uns Menschen erinnert man sich auf Grund unserer Taten, der guten und der schlechten. In William Shakespeares Schauspiel Julius Cäsar sagte Markus Antonius bei Cäsars Begräbnis:

Das Böse, das Menschen tun,
das lebt weiter, auch wenn die Menschen selbst schon gestorben sind.
Das Gute aber, das wird oft zusammen mit ihren Knochen begraben.


Mark Anton müsste wohl anmerken, dass mein Bruder eine Ausnahme sei, denn was nach seiner Beerdigung fortlebt, das sind seine wunderbaren Werke, seine Großzügigkeit, seine umfassendes Mitleid, sein Humor und, dies vor allem anderen, seine Liebe zu anderen.


Danksagung

Den vielen Menschen, die den Lehren meines Bruders folgen, schulde ich Dank. Ihr Interesse an seinem Leben hat dazu geführt, dass ich diese kurze Biografie geschrieben habe. Ich hoffe, dass diese kurzen Schlaglichter auf sein Leben ihnen allen dabei hilft, Tony noch etwas besser zu verstehen.
Mein aufrichtiger Dank auch an Daphne und Dom Gonzalvez, die so viel ihrer kostbaren Zeit aufgewandt haben, um mir dabei zu helfen, dieser Biografie den letzten Schliff zu geben.



         


 
© Copyright Bill de Mello
Dieses Bild von Tony machte ich während unseres Sonnenuntergang-Spaziergangs.
Er trug ein ausgefranstes Hemd, ausgebeulte Hosen und billige Schuhe.
Tony trug nie überflüssiges Gepäck mit sich herum, weder physisch noch psychisch. Für seine Lebenseinstellung war passende Kleidung "Übergepäck", und er
pflegte das anzuziehen, was ihm gerade in die Hände fiel. Frei und unbeschwert eben.

Tony verhielt sich in Bezug auf geistige und spirituelle Aspekte genauso: Kein Übergewicht. Reise mit leichtem Gepäck. Sei direkt. Kommuniziere.


Leserfragen

Viele Leser dieser Website haben per e-mail angefragt, was Tony in seinem Leben inspirierte.
Eine dieser Quellen war sicherlich Gottes stilles Wirken in der von Ihm geschaffenen Natur.
Der Rundgang um den Lonavla See war Tonys Favorit. Hier war seine Quelle der Erholung, wo Gott ihn immer wieder an "...frisches, lebendiges Wasser" (Ps. 23) führte.
In seinen Büchern spricht Tony oft davon, Gott in der Stille zu finden. Auf Tony traf das zu, er fand Gott dort in der Stille und im Schweigen.
Tony erwähnt diesen besonderen Ort am Seeufer in seinem Buch Awareness (dt: Der springende Punkt)
.

Der letzte Sonnenuntergang

Tony lachte. Er war im Frieden mit der Welt - ich dagegen in heftigem Unfrieden - mit meiner Kamera. Gemütlich lehnte er sich zurück, den Sonnenuntergang genießend, während ich mit Fokus und Blende kämpfte.

"Bill, Bill schau hin, Gott malt gerade ein Meisterwerk!" schalt er mich, während ich durch
den Sucher blinzelte. Wenn ich nur gewusst hätte, dass dies der letzte gemeinsame Sonnenuntergang sein würde, den wir zusammen erlebten - vielleicht hätte ich die Kamera zur Seite gelegt und mit ihm schweigend dem Großen Künstler zugeschaut, der dort am Himmel am Werk war.

© Copyright Bill de Mello
Der Zeitpunkt war im August 1986, ungefähr ein Jahr vor Tonys Tod. Meine Schwester Grace und ich besuchten Tony ein Wochenende lang in seinem Sadhana Institut in Lonavla, Indien.
Es war eine bittersüße Zeit für mich. Süß, weil ich eine kurze Zeit voller Lebensqualität mit Tony zusammen sein konnte und bitter, weil unser Vater kurz zuvor gestorben war und ich damit beschäftigt war, seinen Nachlass zu ordnen.

Der See befindet sich gleich hinter dem Sadhana Institut, einen gemütliche und schönen Fußweg von einer halben Stunde Dauer durch naturbelassenes Buschland hindurch. Wir drei waren den Weg zum See zusammen gegangen, in fröhliches Gespräch vertieft, so wie es unter Geschwistern eben üblich ist. Ich war von Australien, wo ich jetzt lebe, herübergeflogen und schwenkte jetzt in bester Touristenart meine High-Tech-Kamera. Als ich merkte, dass dieser Sonnenuntergang ein ganz besonderer zu werden versprach, vergaß ich Tony und Grace und beschäftigte mich nur noch mit Blendweiten und Filmgeschwindigkeiten. Es war dieses frenetische Gefummele, über das sich Tony so amüsierte.



© Copyright Bill de Mello

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